Page 300 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Weise, welche ihm eben gefällt, auswählen muß, gerade wie wenn er in
                ein Waarenlager von Staatsverfassungen käme und sich eine auswählte
                und so den Staat dann gründete. – Vielleicht wenigstens, sagte er, an

                einer wahren Musterkarte würde es ihm nicht gebrechen. – Ferner aber,
                daß in diesem Staate, sprach ich, kein Zwang besteht, eine Herrschaft
                auszuüben, selbst wenn du tüchtig genug bist, sie auszuüben, und
                hinwiederum auch kein Zwang, dich beherrschen zu lassen, wenn du
                nicht willst, noch auch Krieg zu führen, wenn man Krieg führt, oder
                Frieden zu halten, wenn die Uebrigen ihn halten, falls nicht etwa du
                selbst ein Verlangen nach Frieden hast, und hinwiederum auch, daß du,

                wenn ein Gesetz dich hindert, eine Herrschaft auszuüben oder zu Gericht
                zu sitzen, du nichts desto weniger sie eben doch ausübst und zu Gericht
                sitzest, sobald es dir nur in den Sinn kömmt, ist dieß Alles nicht etwa
                eine göttliche und reizende Lebensweise für den Augenblick? – Ja,
                vielleicht, sagte er, für den Augenblick. – Wie aber? ist jene zarte
                Gesinnung einiger Verurtheilter nicht etwas gar Feines? oder hast du es

                in einem derartigen Staate noch nie gesehen, daß Menschen, welche zum
                Tode oder zur Verbannung verurtheilt waren, nichts desto weniger
                ungestört dort blieben und vor Aller Augen sich herumtrieben? und
                gerade als bekümmere sich Niemand darum und sähe es Niemand,
                stolzirt ein Solcher wie ein Heros umher. – Ja, gar Viele, sagte er. – Und
                jene Nachsicht dann eines solchen Staates und jener wahrlich von
                Kleinigkeitskrämerei freie Sinn, ja vielmehr daß man all jenes unter

                seiner Würde hält, was wir anführten und womit wir uns groß machten,
                als wir unseren Staat gründeten, nemlich daß Keiner, woferne er nicht
                eine überaus tüchtige Begabung habe, jemals ein guter Mann werden
                könne, wenn er nicht schon sogleich als Kind im Schönen sein
                Kinderspiel betreibe und all Derartiges bereits übe, – in wie großartiger
                Weise tritt dieser Staat dieß Alles mit Füßen und bekümmert sich

                durchaus nicht darum, aus welcherlei Thätigkeit Jemand zu den
                staatlichen Verhältnissen sich wende und in diesen thätig sei, sondern er
                ehrt ihn schon, sobald er nur von sich behauptet, daß er gegen den
                großen Haufen wohlgesinnt sei. – Ja, wahrlich, sagte er, ein wackerer
                Staat. – Diese Dinge demnach, sprach ich, und noch andere hiemit
                verschwisterte enthält die Demokratie, und sie ist wohl, wie es scheint,
                eine reizende und herrscherlose und buntfärbige Staatsverfassung,

                welche ja die Gleichheit in gleicher Weise unter Gleiche und Ungleiche
                vertheilt. – Ja wohl, sagte er, gar sehr verständlich sprichst du. –
                     12. So sieh denn nun zu, sagte ich, wer als einzelner Mensch der so
                beschaffene sei; oder müssen wir zuerst erwägen, wie wir es auch beim





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