Page 304 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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bringen und so fortleben, indem er immer dem je ihn überkommenden,
                gerade als wäre dieses durch das Loos dazu bestimmt, die Herrschaft
                über sein Wesen übergibt, so lange bis er an ihm sich gesättigt hat, und

                hierauf wieder einem anderen, keines dabei mißachtend, sondern
                sämmtliche in Gleichberechtigung pflegen. – Ja wohl, allerdings. – Und
                eine wahrhafte Begründung, sagte ich, nimmt er nicht an und läßt sie in
                seine Burg nicht ein, falls Jemand sagen würde, daß unter den
                Vergnügungen die Einen zu den schönen und guten Begierden gehören,
                die anderen aber zu den schlechten, und daß man die ersteren betreiben
                und ehren, die letzteren aber züchtigen und knechten solle; sondern bei

                all diesem wird er den Kopf schütteln und behaupten, sie seien
                sämmtlich einander gleich und in Gleichberechtigung zu ehren. – Ja, in
                hohem Grade, sagte er, ist er in einem solchen Zustande und thut
                Solches. – Nicht wahr also, sprach ich, er bringt sein Leben dahin, indem
                er so Tag für Tag der ihn je überkommenden Begierde zu Gefallen ist,
                bald sich betrinkend und dem Flötenspiele lauschend, bald wieder

                Wasser trinkend und sich abmagernd, dann hinwiederum Gymnastik
                betreibend, zuweilen Nichts thuend und Alles vernachlässigend, dann
                auch wieder gleichsam mit Weisheitsliebe sich die Zeit vertreibend;
                häufig aber übt er staatliche Thätigkeit aus und springt auf die
                Rednerbühne und spricht und thut da, was ihm eben einfällt; und wann er
                irgend Kriegerischen nacheifert, stürmt er in dieser Richtung hin, oder
                wann Gelderwerbern, hinwiederum dorthin; und weder irgend eine

                Ordnung noch eine Nothwendigkeit leitet sein Leben, sondern ein
                reizendes und freies und glückseliges nennt er dieses Leben und bedient
                sich desselben fortan stets. – Ja, durchaus wohl, sagte er, hast du hiemit
                das Leben eines Mannes der Gleichberechtigung durchgegangen. – Ich
                glaube aber ja, sprach ich, daß er auch ein buntes Allerlei und mit der
                größten Menge von Charakteren erfüllt sei, und daß der Herrliche und

                Buntgefärbte, wie jener Staat, auch eben dieser Mensch sei, welchem
                viele Männer und viele Frauen wegen seines Lebens nacheifern dürften,
                weil er ja die reichste Musterkarte von Staatsverfassungen und von
                Sinnesarten in sich enthält. – Ja, so ist es allerdings, sagte er. – Wie also
                nun? soll uns hiemit entsprechend der Demokratie der derartige Mensch
                hingestellt sein, welcher mit Recht auch der demokratische genannt
                werden dürfte? – Ja, sagte er, er soll uns hiemit hingestellt sein. –

                     14. Also die herrlichste Staatsverfassung und der herrlichste Mensch,
                sagte ich, sind uns noch übrig, daß wir sie durchgehen, nemlich die
                Gewaltherrschaft und der Gewaltherrscher. – Ja gewiß, sagte er. –
                Wohlan denn nun, mein lieber Freund, welches wird die Art und Weise





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