Page 303 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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die Burg der Seele des Jünglinges, da sie bemerkten, daß dieselbe leer sei
von Unterrichtsgegenständen und von schönen Bestrebungen und von
wahren Begründungen, welche ja die besten Beschützer und Wächter in
den Gedanken gottgeliebter Männer sind. – Ja, bei Weitem wohl, sagte
er. – Unwahre und prahlerische Reden und Meinungen, glaube ich, sind
demnach anstatt jener hinaufgedrungen und haben eben diesen Ort des
derartigen Menschen besetzt. – Ja, in hohem Grade, sagte er. – Ist er also
nicht wiederum offenkundig zu jenen LotophagenS. Odyssee, IX, V. 82–
104. gekommen und hat sich bei ihnen niedergelassen? Und wenn von
Seite der Angehörigen irgend eine Hülfe für das Sparsame in seiner
Seele kömmt, so schließen jene prahlerischen Reden die Thore der
königlichen Schutzmauer in ihm und lassen weder die
Bundesgenossenschaft selbst herzu, noch auch empfangen sie die
begründenden Reden einzelner Aelterer als Gesandte, sondern sie selbst
gewinnen im Kampfe die Oberhand, und indem sie das Schamgefühl als
Einfältigkeit bezeichnen, stoßen sie es ehrlos hinaus in die Verbannung,
die Besonnenheit aber nennen sie Unmännlichkeit und jagen sie mit
Beschimpfungen fort, die Mäßigkeit hingegen und einen nicht
ungebührlichen Aufwand stellen sie als bäuerischen und unfreien Sinn
dar, und bringen sie, unter Beihülfe vieler und nutzloser Begierden, über
die Gränze. – Ja, in hohem Grade. – Nachdem sie aber all dieß
fortgeschafft und die Seele des von ihnen festgehaltenen und
eingeweihten Menschen mit großen Einweihungskosten gereinigt haben,
so führen sie hiernach sogleich den Uebermuth und die Unordnung und
die Schwelgerei und die Unverschämtheit in glänzenden Gewändern und
bekränzt mit einem zahlreichen Reigen zurück, indem sie Loblieder
singen und milde Schmeichelnamen gebrauchen; Uebermuth nennen sie
Wohlgezogenheit, Unordnung Freiheit, Schwelgerei Großartigkeit,
Unverschämtheit Tapferkeit. Wird also nicht ungefähr auf diese Weise
ein Jüngling, welcher in den nothwendigen Begierden auferzogen wurde,
zur Freiheit und Schlaffheit der nicht nothwendigen und nutzlosen
Vergnügungen übergehen? – Ja wohl, sagte er, und zwar in sehr
deutlicher Weise. – Es lebt denn nun, glaube ich, hernach der Derartige,
indem er nicht in höherem Grade auf die nothwendigen Vergnügungen,
als auf die nicht nothwendigen, sein Vermögen und seine Mühe und
seine Zeit aufwendet; aber wenn er vom Glücke begünstigt ist und in
bacchantischem Toben nicht allzu weit ging, sondern älter geworden
nach Verlauf des ersten argen Getümmels einige von jenen verbannten
Theilen wieder aufnimmt und den Eindringlingen sich nicht völlig
hingibt, so wird er in irgend ein Gleichgewicht die Vergnügungen
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