Page 301 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Staate erwogen, auf welche Art und Weise er entstehe? – Ja, sagte er. –
Etwa nicht auf folgende Weise: Jenem Sparsamen und Oligarchischen
dürfte wohl, glaube ich, ein Sohn geboren werden, welcher dann von
dem Vater in dem Charakter desselben auferzogen wird. – Warum auch
nicht? – Mit Gewalt demnach wird auch dieser über jene in ihm
befindlichen Begierden herrschen, welche auf den Aufwand, nicht aber
auf Gelderwerb gerichtet sind, nemlich über jene, welche als die nicht
nothwendigen bezeichnet werden. – Dieß ist klar, sagte er. – Willst du
also, sprach ich, daß wir, um nicht in dunkler Weise die Erörterung zu
führen, vorerst feststellen, welches die nothwendigen Begierden seien
und welches die nicht nothwendigen? – Ja, ich will es, sagte er. – Nicht
wahr also, diejenigen, welche wir nicht im Stande sind, abzuwenden,
möchten wohl mit Recht die nothwendigen genannt werden, und alle
jene, welche bei ihrer Erfüllung uns einen Nutzen bringen; denn daß wir
nach diesen beiden streben, ist eine von Natur uns angeborene
Nothwendigkeit; oder nicht? – Ja wohl, gar sehr. – Mit Recht demnach
werden wir bei solchen von einer Nothwendigkeit sprechen. – Ja, mit
Recht. – Wie aber? diejenigen, welche man losbringen könnte, woferne
man von Jugend auf sich bemühte, und welche in uns befindlich zu
nichts Gutem, zuweilen sogar zum Gegentheile wirken, möchten wir
wohl sämmtlich als nicht nothwendige bezeichnen, und sodann wohl den
richtigen Ausdruck gebrauchen. – Ja, allerdings den richtigen. – Wollen
wir denn nun irgend ein Beispiel der beiderseitigen, welche sie eben
sind, vornehmen, um sie hiedurch in einem allgemeinen Gepräge zu
erfassen? – Wir müssen wohl. – Wäre also nicht die Begierde nach Essen
bis zur Gränze der Gesundheit und des Wohlverhaltens und jene nach
Brod und Zuspeise eine nothwendige? – Ich glaube wohl. – Jene
wenigstens nach Brod ist nach den beiden Seiten hin eine nothwendige,
insoferne sie Nutzen schafft und insoferne sie auf die Fortdauer des
Lebens einen Einfluß hat. – Ja. – Jene nach Zuspeise aber, woferne sie
irgend einen Nutzen bezüglich des Wohlverhaltens mit sich bringt. – Ja
wohl, allerdings. – Wie aber? die hierüber hinausgehende und auf
anderweitige Speisen oder dergleichen sich erstreckende Begierde, bei
welcher aber die Möglichkeit besteht, daß durch Züchtigung von Jugend
auf und durch Bildung sie aus den Meisten sich entfernt, und welche
schädlich ist für den Körper, schädlich aber auch für die Seele bezüglich
der Einsicht und der Besonnenheit, möchte also diese nicht wohl mit
Recht als eine nicht nothwendige bezeichnet werden? – Ja, allerdings
völlig mit Recht. – Nicht wahr also, auch Begierden des Aufwandes
wollen wir diese nennen, jene aber Begierden des Gelderwerbes, weil sie
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