Page 306 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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sei, und daß der bloße Insasse dem Bürger und der Bürger dem Insassen
                gleichgestellt werde, und ebenso auch der Fremde. – Allerdings
                geschieht dieß, sagte er, auf solche Weise. – Ja, sowohl Solches, sprach

                ich, als auch noch andere Kleinigkeiten dieser Art geschehen; der Lehrer
                fürchtet bei solchem Zustande seine Schüler und hätschelt sie, und die
                Schüler mißachten den Lehrer, sowie auch den Knabenaufseher, und
                überhaupt machen sich die Jungen den Aelteren ähnlich und wetteifern
                mit ihnen in Wort und That; die Greise aber lassen sich zu den Jungen
                herab, und sind voll Zuvorkommenheit und Liebenswürdigkeit gegen sie,
                indem sie die Jungen nachahmen, damit sie ja nicht als unangenehme

                und herrische Leute erscheinen möchten. – Ja wohl, allerdings, sagte er.
                – Der äußerste Grad aber ja, sprach ich, jener Freiheit der Masse,
                welcher überhaupt in dem derartigen Staate entsteht, ist es, wenn die
                gekauften Sklaven und Sklavinnen um Nichts weniger frei sind als ihre
                Käufer; welche Gleichberechtigung und Freiheit aber unter den Weibern
                gegen die Männer und unter den Männern gegen die Weiber entstehe,

                hätte ich fast vergessen anzugeben. – Nicht wahr also, sagte er, wir
                werden hiebei zufolge einem Worte des Aeschylos aussprechen, »was
                uns eben in den Mund kömmt«Ein nicht näher bekanntes Fragment des
                Aeschylus.. – Ja, allerdings, erwiederte ich, und auch ich werde nun so
                sprechen; nemlich um wie viel freier auch die unter den Menschen
                stehenden Thiere dortselbst im Vergleiche mit anderen Staaten seien,
                dürfte derjenige wohl nicht glauben, der keine Erfahrung hierin hat; so

                ziemlich nemlich werden sowohl die Hündinnen, wie das Sprüchwort
                sagt, ihren Herrinnen ähnlich werden, als auch die Pferde und die Esel
                werden sich gewöhnen, in gar freier und stolzer Weise einherzuschreiten,
                und auf der Straße gegen jeden, der ihnen begegnet, ausschlagen, wenn
                er nicht aus dem Wege geht; und ebenso werden auch alle übrigen Thiere
                von Freiheitsschwindel erfüllt sein. – Hiemit sprichst du nur aus, sagte

                er, was mir selbst schon träumte; denn gar häufig ja ergebt es mir so,
                wenn ich auf der Landstraße wandleOb diese Bemerkung noch auf der
                Gränze des Geschmackvollen und des Geschmacklosen stehe, oder
                bereits dem Letzteren angehöre, glauben wir dem gesunden Sinne der
                Leser überlassen zu dürfen. Ganz ähnlich ja verfährt auch zuweilen bei
                uns die ungebildetste Schichte des Pöbels, wenn derselbe z. B. bei einer
                Mißärndte oder einem allgemeinen Mißwachse hieran der politischen

                Gegenpartei die Schuld beimißt.. – Was aber nun die Hauptsache von all
                diesem zusammengenommen ist, sprach ich, bemerkst du wohl, wie
                weichlich nemlich es die Seele der Bürger mache, so daß, wenn man
                auch nur den geringsten Grad von Sklaverei ihnen zumuthet, sie entrüstet





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