Page 310 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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gehört? – Ja gewiß. – Derjenige also, welcher als Vorsteher eines Volkes
einen ihm sehr gefügigen Pöbel findet und sich des Blutes der
Stammgenossen nicht enthält, sondern mit ungerechten
Anschuldigungen, wie man sie gewöhnlich liebt, Einen vor Gericht zieht
und ihn tödtet, das Leben eines Mannes vernichtend, und mit seiner
Zunge und frevelm Munde stammverwandtes Blut kostet, und Bürger
verbannt und hinrichtet und dabei auf Schuldenverminderung und
Ländervertheilung hinweist, – muß also ein Solcher nicht nothwendig
und durch Fügung des Schicksales hernach entweder durch seine Feinde
zu Grunde gehen oder als Gewaltherrscher auftreten und aus einem
Menschen ein Wolf werden? – Ja, durchaus nothwendig, sagte er. –
Dieser demnach, sprach ich, wird es werden, der den Zwiespalt gegen
die Besitzenden erzeugt. – Ja, dieser. – Wird er also, wenn er verbannt
wurde und wider Willen seiner Feinde zurückkehrt, als vollendeter
Gewaltherrscher zurückkehren? – Dieß ist klar. – Wenn sie aber nicht die
Möglichkeit haben, ihn zu verbannen, oder dadurch, daß sie ihn vor dem
Staate anklagen, ihn zu tödten, so werden sie wohl ihm nachstellen, um
heimlich durch gewaltsamen Tod ihn aus dem Leben zu schaffen. – Es
pflegt wenigstens, sagte er, so zu geschehen. – So wird denn nun jene
vielberühmte Forderung der Gewaltherrscher von all denjenigen, welche
einmal so weit vorgeschritten sind, erfunden, daß sie von dem Volke eine
Leibwache fordern, damit ihnen ihr Retter des Volkes unversehrt bleibe.
– Ja wohl, gar sehr, sagte er. – Und sie geben sie ihm denn auch, glaube
ich, weil sie wegen seiner in Furcht, wegen ihrer selbst aber voll
Hoffnung sind. – Ja wohl, gar sehr. – Nicht wahr also, wenn dieses ein
Mann sieht, welcher Vermögen besitzt und zugleich mit dem Vermögen
auch mit der Anschuldigung behaftet ist, ein Feind des Volkes zu sein, so
wird dieser dann wohl, mein Freund, entsprechend dem Orakelspruche,
welcher dem Krösus zu Theil ward,
»zum kieselreichen Flusse Hermos fliehen,
und nicht mehr bleiben, noch auch sich scheuen, als Feigling
zu gelten«Aus einem Orakel, welches, wie Herodot (I, 55)
berichtet, dem Krösus von Delphi aus ertheilt wurde.. –
Allerdings möchte er schwerlich, sagte er, ein zweitesmal in den Fall
kommen, sich scheuen zu können. – Wer hingegen, sagte ich, ergriffen
wird, dieser wird wohl, glaube ich, dem Tod überliefert. – Ja,
nothwendig. – Jener Vorsteher selbst aber wird kläglich nicht »als ein
Riese riesig hingestreckt am Boden liegen«Ilias XVI, V. 776, u. Odyssee
XXIV, V. 40.. sondern Andere gar viele wird er zu Boden strecken und
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