Page 312 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Aerzte bei dem Körper vornehmen; denn jene nehmen das Schlechteste
weg und lassen das Beste zurück, dieser aber umgekehrt. – Wie es
scheint, sagte er, muß er nothwendig so, woferne er herrschen will. –
18. Also in einer glückseligen Nothwendigkeit, sprach ich, ist er
gebunden, welche ihm gebietet, entweder mit der Masse der Schlechten
zu hausen und dabei von ihr gehaßt zu werden, oder überhaupt nicht zu
leben. – Ja, in einer solchen Nothwendigkeit, sagte er. – Wird er also
nicht, je mehr er durch solche Handlungen sich mit den Bürgern
verfeindet, desto mehrere und getreuere Schildträger bedürfen? – Wie
sollte er auch nicht? – Wer also sind ihm die Getreuen, und woher wird
er sie sich kommen lassen? – Ganz von selbst ja, sagte er, werden Viele
im Fluge herbeikommen, wenn er ihnen Sold gibt. – Wieder Drohnen ja,
beim Hunde, sagte ich, scheinst du mir hiemit zu meinen, Fremdlinge
und Leute aller Art. – Mit Recht, sagte er, scheine ich dir diese zu
meinen. – Die Eingebornen aber, sollte er etwa diese nicht wollen? – Wie
so? – Die Sklaven wird er den Bürgern nehmen, sie freilassen und unter
die ihn umgebende Leibwache aufnehmen. – Ja wohl, gar sehr, sagte er,
weil ja diese ihm auch die getreuesten sind. – Wahrlich ein glückseliges
Wesen, sprach ich, bezeichnest du hiemit im Gewaltherrscher, wenn er
sich derartiger Freunde und getreuer Männer bedient, nachdem er jene
obigen Anderen zu Grunde gerichtet hat. – Aber er bedient sich ja, sagte
er, auch wirklich derselben. – Und diese seine Genossen nun bewundern
ihn und diese neuen Bürger bilden seine Umgebung, die Tüchtigen aber
hassen und meiden ihn.. – Warum sollten sie auch nicht? – Nicht
umsonst also, sagte ich, scheint sowohl die Tragödie überhaupt etwas
sehr Weises zu sein, als auch Euripides hierin noch besonders sich
hervorzuthunDarüber, daß eine gewisse sophistische Tendenz in den
Euripideischen Tragödien hervortritt, s. m. Anm. 10 z. »Gastmahl«; was
den hier in den sogleich folgenden Worten angeführten Ausspruch
betrifft, so findet sich ähnliches in den »Phönissen« des Euripides V.
527; hingegen der Ausdruck »göttergleiche Gewaltherrschaft« steht
wörtlich so in dessen »Trojanerinnen« V. 1177.. – Wie so? – Weil er auch
dieß in Folge seines tiefen Nachdenkens aussprach, daß »weise die
Gewaltherrscher sind durch Umgang mit Weisen«, und hiemit in klaren
Worten sagte, daß jene, mit welchen der Gewaltherrscher in Umgang
steht, weise seien. – Und als eine »göttergleiche« preist er ja, sagte er,
die Gewaltherrschaft und auch noch viel Anderes, er sowohl, als auch
die übrigen Dichter. – Demnach, sprach ich, werden die
TragödienDichter, weil sie ja weise sind, es uns und allen jenen, welche
ähnlich wie wir den Staat einrichten wollen, wohl verzeihen, daß wir sie
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