Page 316 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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er Jedweden mordet, daß er von keinem Gegenstande seiner Eßbegierde
                sich enthält, und mit Einem Worte es an Unverstand und
                Unverschämtheit in Nichts fehlen läßt. – Sehr wahr, sagte er, sprichst du

                da. – Wann hingegen, glaube ich, Jemand in sich selbst durchaus gesund
                und besonnen sich verhält und zum Schlafen sich begibt, nachdem er den
                vernünftigen Theil seiner selbst erweckt und mit trefflichen Reden und
                Erwägungen bewirthet hat, und so zu einer Einkehr des Nachdenkens in
                sich selbst gelangt ist, das Begehrliche aber weder Mangel leiden, noch
                sich überfüllen ließ, damit es sich zur Ruhe begebe und dem besten
                Theile keine Störung durch seine Freudigkeit oder seine Traurigkeit

                bereite, sondern ihm gestattet, daß es für sich allein in seiner Reinheit
                etwas betrachte und ein Verlangen nach Wahrnehmung eines noch nicht
                Gekannten habe, sei es eines Vergangenen oder eines Gegenwärtigen
                oder eines Zukünftigen, und wenn er ebenso auch das Muthige besänftigt
                hat und ohne durch Leidenschaftlichkeit gegen irgend Jemanden seinen
                Muth erregt zu haben, einschläft, wohl hingegen jene zwei Formen

                seiner Seele zur Ruhe gebracht, die dritte aber, in welcher die
                verständige Einsicht entsteht, in Bewegung gesetzt hat, – weißt du, daß
                er dann in solchem Zustande zumeist die Wahrheit erfassen wird und am
                wenigsten gesetzwidrige Traumgesichte erscheinen werden? – Ja,
                durchaus, sagte er, bin ich dieser Meinung. – Dieß denn nun etwas weiter
                auszuführen, ließen wir uns fortreißen; hingegen was wir hiebei
                erkennen wollen, ist das, daß eine arge und wilde und gesetzlose Art von

                Begierden einem Jeden einwohnt, und selbst Einigen von uns, welche
                gar mäßige Menschen zu sein scheinen, dieß aber ja eben im Schlafe
                deutlich werde. Erwäge also, ob dir, was ich sage, einen Werth zu haben
                scheine und ob du es zugebest. – Ich gebe es aber ja zu. –
                     2. Erinnere dich demnach, wie beschaffen wir behaupteten, daß der
                demokratische Mensch sei. Er war uns aber ja von seiner Geburt an unter

                Leitung eines sparsamen Vaters gestanden, welcher nur die auf
                Gelderwerb gerichteten Begierden ehrte, diejenigen hingegen
                mißachtete, welche nicht nothwendig sind, sondern um eines Spieles und
                um einer Verschönerung willen sich einstellen; oder wie anders? – Ja. –
                Kömmt er aber nun mit jenen feineren Männern zusammen, welche voll
                sind von den so eben durchgegangenen Begierden, so stürmt er in allem
                Uebermuthe eben zu jener Art von Begierden hin, da ihm des Vaters

                Sparsamkeit verleidet ist, und weil er doch noch eine bessere Begabung,
                als seine Verführer, hat, so treibt es ihn nach beiden Seiten und er bleibt
                in der Mitte beider Sinnesarten stehen, und ganz mäßig, wie er glaubt,
                ein Jedes genießend, führt er weder ein unfreies, noch ein gesetzwidriges





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