Page 320 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Besessenen ebenso wie einen Staat zu jedem Wagniß treiben, woher nur
                Nahrung zu bekommen ist für ihn selbst und für das Getümmel um ihn
                herum, von welchem der Eine Theil von Außen durch schlechten

                Umgang eingedrungen ist, der andere aber eben durch die nemlichen
                Sitten und durch ihn selbst losgelassen und befreit worden war. Oder ist
                dieses nicht das Leben eines so Beschaffenen? – Ja, dieses ist es, sagte
                er. – Und wenn nun, sprach ich, einige Wenige dergleichen in einem
                Staate sind und die übrige Masse besonnen ist, so wandern sie aus und
                werden zur Leibwache irgend eines anderen Gewaltherrschers, oder
                leisten um Sold Hülfe, wenn es Krieg gibt; finden sie sich aber im

                Zustande des Friedens und der Ruhe ein, so verüben sie dortselbst in
                dem Staate viel kleines Unheil. – Was meinst du hiemit? – Z. B. sie
                stehlen, brechen ein, sind Beutelschneider, Kleiderdiebe, plündern
                Tempel, treiben Menschenverkauf, zuweilen aber, wenn sie gewandte
                Redner sind, treten sie als Angeber auf, legen falsche Zeugnisse ab und
                leben von Bestechung. – Ein kleines Unheil, sagte er, ist dieß allerdings,

                woferne die Zahl der Derartigen gering ist. – Das Kleine aber, sprach ich,
                ist nur im Vergleiche mit Großem klein, und all dieses trifft im
                Vergleiche mit einem Gewaltherrscher bezüglich der Schlechtigkeit und
                des Unglückes eines Staates, wie es im Sprüchworte heißt, nicht einmal
                in die Nähe des Zieles, geschweige denn das Ziel selbst. Wann nemlich
                viele Derartige in einem Staate sich einfinden und andere ihnen sich
                anschließen und sie ihre Anzahl fühlen, dann sind diese es, welche in

                Verbindung mit dem Unverstande des Volkes den Gewaltherrscher
                erzeugen, jenen nemlich, welcher unter ihnen selbst im höchsten Grade
                in seiner Seele den größten und umfassendsten Gewaltherrscher enthält.
                – Ja, so scheint es, sagte er; denn dieser wäre wohl zum Gewaltherrscher
                der geeignetste. – Nicht wahr also, wenn sie freiwillig ihm nachgeben;
                wenn es hingegen der Staat nicht zuläßt, dann wird er, sowie er damals

                Mutter und Vater züchtigte. nun wohl ebenso hinwiederum, wenn er es
                im Stande ist, sein Vaterland züchtigen, indem er junge Genossen
                herbeiruft und unter der Herrschaft dieser sein ehemals befreundetes
                Vaterland oder, wie die Kreter sagen, Mutterland in Sklaverei hält und so
                es hegt und pflegt; und dieß demnach möchte wohl das Endziel der
                Begierde des derartigen Menschen sein. – Ja, durchaus dieses, sagte er. –
                Nicht wahr also, sagte ich, diese werden von solcher Beschaffenheit auch

                schon als Einzelne sein, noch ehe sie herrschen? Sie wenden vor Allem
                in ihrer Umgebung, sei es, daß sie mit Schmeichlern und in jeder
                Beziehung Dienstfertigen umgehen, oder daß sie, falls sie Jemanden
                brauchen, sich selbst ihm so unterwerfen, jedenfalls die Stirne haben, in





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