Page 325 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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wornach doch alle Uebrigen eine Begierde haben, sondern versteckt in
seiner Wohnung lebt er meistenteils wie ein Weib, auch die übrigen
Bürger darum beneidend, wenn Einer nach Außen eine Reise macht und
irgend Gutes sieht. – Ja, durchaus ist es so, sagte er. –
6. Nicht wahr also, bezüglich derartiger Uebel bekömmt jener Mann,
welcher ohndieß schon in sich selbst in schlechter Verfassung ist, und
welchen du so eben als den Gewaltherrscherischen für den
Unglücklichsten erklärt hast, noch mehr daran zu genießen, daß er nicht
als Einzelner sein Leben führt, sondern durch ein Geschick genöthigt
wird, wirklich Gewaltherrscher zu werden und, während er nicht seiner
selbst mächtig ist, über Andere zu herrschen versucht; gerade wie wenn
Jemand mit einem kranken und seiner selbst nicht mächtigen Körper
nicht einzeln für sich lebte, sondern genöthigt würde, in Wettkämpfen
und im Streite gegen andere Körper sein Leben zu verbringen. –
Durchaus, o Sokrates, sagte er, ist treffend ähnlich und höchst wahr, was
du da angibst. – Nicht wahr also, o lieber Glaukon, sprach ich,
schlechthin unglücklich ist dieser Zustand, und der wirkliche
Gewaltherrscher hat ein noch mißlicheres Leben als jener, dessen Leben
du als das mißlichste bezeichnetest? – Ja wohl, in hohem Grade, sagte er.
– Es ist also in Wahrheit, auch falls es Jemandem nicht so scheinen
sollte, der wirkliche Gewaltherrscher ein wirklicher Sklave vermöge der
ärgsten Kriecherei und Dienstbarkeit, und ein Schmeichler der
Schlechtesten, und ein Mensch, welcher in keiner Weise seine Begierden
sättigen kann, sondern den höchsten Mangel leidet und in Wahrheit als
arm sich zeigt, woferne es Jemand versteht, die ganze Seele zu
betrachten, und ein Mensch, welcher Zeit seines Lebens von Furcht
beseelt und voll von Zuckungen und Schmerzen ist, falls er nemlich dem
Zustande des Staates gleicht, über welchen er herrscht; er gleicht
demselben aber wirklich; oder etwa nicht? – Ja wohl, gar sehr, sagte er. –
Nicht wahr also, nebst all diesem wollen wir dem so beschaffenen
Menschen auch noch zutheilen, was wir schon früher angaben, daß er
nemlich nothwendig bereits sein und auch noch in höherem Maße als
vorher in Folge seiner Herrschaft werden müsse: ein Neidischer, ein
Unzuverlässiger, ein Ungerechter, ein Frevler, ein Aufbewahrer und
Pfleger jeder Schlechtigkeit, und daß in Folge von all diesem im
höchsten Grade zunächst er selbst unglücklich sei, sodann aber seine
Nebenmenschen zu eben solchen mache. – Kein Verständiger, sagte er,
wird hiegegen widersprechen. – Wohlan also, sprach ich, nun sollst auch
du, sowie der Alles umfassende Richter sein Urtheil abgibt, ebenso jetzt
urtheilen, welcher nach deiner Meinung bezüglich des Glückes der erste,
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