Page 322 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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indem wir auf den Gewaltherrscher als auf Einen hinblicken, auch dann
                nicht, wenn einige Wenige ihn umgeben, sondern, sowie es nothwendig
                ist, in den ganzen Staat einzutreten und ihn zu betrachten, indem wir uns

                in den gesammten vertiefen und ihn anschauen, so wollen wir auf diese
                Weise auch unsere Meinung abgeben. – Aber mit Recht ja, sagte er,
                ermunterst du uns; und es ist somit klar, daß es keinen unglücklicheren
                Staat als jenen durch Gewaltherrschaft regierten gibt und keinen
                glücklicheren, als jenen königlich regierten. – Wenn ich dich also, sagte
                ich, auch bezüglich der Menschen zu dem nemlichen Urtheile ermuntere,
                werde ich dann richtig handeln, indem ich verlange, daß über dieselben

                jener urtheilen solle, der durch sein Nachdenken sich in den Charakter
                eines Menschen vertiefen und ihn durchschauen kann, nicht aber wie ein
                Kind beim äußerlichen Anblicke in Folge jenes Glanzes erschrickt,
                welchen der Gewaltherrscher den Außenstehenden gegenüber als Form
                an sich trägt, sondern eben in genügender Weise hindurchblickt; und
                wenn ich also der Meinung wäre, wir Alle sollten denjenigen anhören,

                welcher die Fähigkeit zu einem Urtheile hat, aber auch an dem
                nemlichen Orte wohnte und zugegen war sowohl bei den häuslichen
                Handlungen desselben, wie er dort gegen jeden seiner Angehörigen sich
                benehme, wo er am meisten von jenem Bühnen-Gewande entblößt
                gesehen werden kann, als auch hinwiederum in den Gefahren des
                Staates, und wenn ich dann diesen, der all dieß gesehen, auffordern
                würde, es auszusprechen, wie sich der Gewaltherrscher zu den Uebrigen

                bezüglich des Glückes und Unglückes verhalte. – Durchaus richtig, sagte
                er, würdest du uns auch hiezu ermuntern. – Willst du also, sprach ich,
                daß wir uns selbst so benehmen, als gehörten wir zu denjenigen, welche
                die Fähigkeit zu einem Urtheile haben und auch mit derartigen
                Menschen schon zusammengetroffen sindJedermann denkt hiebei von
                selbst an Plato’s Aufenthalt bei Dionysios von Syrakus; s. m. Uebers. d.

                gr. Phil. S. 68., um nemlich Einen zu haben, der auf unsere Frage
                antworten könnte? – Ja, allerdings will ich es. –
                     5. Wohlan denn nun, sagte ich, erwäge es folgendermaßen. Indem du
                an die Aehnlichkeit zwischen Staat und Mensch dich erinnerst, sollst du
                auf diese Weise bei Jedem seinerseits es betrachten und so die Zustände
                eines jeden von beiden angeben. – Welche meinst du hiemit? sagte er. –
                Erstens, erwiederte ich, um vom Staate zu sprechen, wirst du den durch

                Gewaltherrschaft regierten als einen freien, oder als einen sklavischen
                bezeichnen? – Im höchsten Grade, sagte er, als einen sklavischen. – Nun
                aber siehst du ja in ihm doch Herren und Freie. – Ich sehe allerdings,
                sagte er, wenigstens irgend eine kleine Anzahl von diesen; aber das





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