Page 323 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Ganze in ihm, so zu sagen, und der tüchtigste Theil ist in ehrloser und
                unglücklicher Weise ein Sklave, – Wenn also, sprach ich, der Mensch
                dem Staate ähnlich ist, so muß wohl nothwendig auch im Menschen die

                gleiche Stellung sich finden, und seine Seele von arger Sklaverei und
                Unfreiheit strotzen, und noch dazu jene Theile derselben, welche die
                tüchtigsten sind, in Sklaverei sich befinden, ein geringer Theil aber,
                welcher der schlechteste und wahnsinnigste ist, Herr sein. – Ja,
                nothwendig, sagte er. – Wie nun? wirst du von einer so beschaffenen
                Seele behaupten, daß sie sklavisch oder daß sie frei sei? – Ich wenigstens
                gewiß, daß sie sklavisch sei. – Nicht wahr also, ein Staat ja, welcher

                sklavisch ist und unter einer Gewaltherrschaft steht, wird am wenigsten
                thun, was er will? – Ja, bei Weitem. – Also auch die unter einer
                Gewaltherrschaft stehende Seele wird am wenigsten thun, was sie will,
                insoferne man hiebei von der gesammten Seele spricht, sondern von
                einem Stachel stets mit Gewalt fortgetrieben, wird sie voll Unruhe und
                Reue sein. – Wie sollte sie auch nicht? – Muß aber ein durch

                Gewaltherrschaft regierter Staat nothwendig reich oder arm sein? – Arm.
                – Also auch die gewaltherrscherische Seele muß nothwendig stets
                armselig und ungesättigt sein? – Ja, so ist es, sagte er. – Wie aber? muß
                nicht nothwendig ein derartiger Staat und ein derartiger Mann von Furcht
                erfüllt sein? – Gewiß in hohem Grade, – Glaubst du wohl Wehklagen
                und Stöhnen und Thränen und Schmerzen in einem anderen Staate in
                größerer Menge zu finden? – Keinenfalls. – Meinst du aber, daß in einem

                anderen Menschen Derartiges in größerer Menge vorhanden sei, als eben
                in diesem von Begierden und Liebesdrang wahnsinnigen
                Gewaltherrscherischen? – Wie sollte es auch möglich sein? sagte er. –
                Auf dieß Alles demnach, glaube ich, und auf anderes Derartiges blicktest
                du hin und urtheiltest, daß unter den Staaten dieser Staat der
                unglücklichste sei. – Und that ich nicht Recht daran? sagte er. – Jawohl,

                gar sehr, erwiederte ich; aber hinwiederum bezüglich des Menschen,
                welcher der Gewaltherrschaft entspricht, was wirst du da sagen, wenn du
                auf dieses Nemliche hinblickst? – Daß er bei Weitem, sagte er, der
                Unglücklichste von allen Uebrigen ist. – Hierin aber, sprach ich, hast du
                nicht mehr Recht. – Wie so? sagte er, – Noch nicht, erwiederte ich, ist,
                wie ich glaube, im höchsten Grade dieser der Derartige. – Aber wer denn
                dann? – Der Folgende wird vielleicht auch dir noch unglücklicher, als

                dieser, zu sein scheinen. – Welcher? – Derjenige, sagte ich, welcher
                befähigt zur Gewaltherrschaft ist und nicht das Leben eines Einzel-
                Menschen führt, sondern das Unglück hat, daß ihm durch irgend ein
                Geschick zu Theil wird, wirklich Gewaltherrscher zu werden. – Ich





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