Page 290 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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muß nemlich, sagte ich, ziemlich anmaßend sein und den Ungebildeten
                teilweise näher stehen, dabei aber doch Liebe zur Bildung haben, auch
                hörlustig sein, aber in keiner Weise Befähigung zu einem Redner

                besitzen; und gegen Sklaven dürfte der Derartige sich wild benehmen,
                ohne dabei, wie der vollkommen Gebildete thut, den Verkehr mit
                Sklaven überhaupt unter seiner Würde zu halten, gegen Freie aber wird
                er sich sanft benehmen, den Herrschern aber sehr unterthänig sein, dabei
                aber selbst herrschsüchtig und ehrliebend, nicht mit dem Wunsche,
                vermittelst begründender Reden oder irgend derartiger Dinge zu
                herrschen, sondern eben vermittelst kriegerischer und überhaupt den

                Krieg betreffender Thaten, indem er ja auch die gymnischen Uebungen
                und die Jagd liebt. – Ja, allerdings, sagte er, ist dieß auch der Charakter
                jener Staatsverfassung. – Nicht wahr also, auch das Geld, sprach ich,
                wird ein Solcher, so lange er jung ist, gering achten, hingegen je älter er
                wird, desto mehr wird er es lieben, weil er ja an der geldliebenden
                Begabung Theil hat und nicht schlechthin rein auf die Vortrefflichkeit

                gerichtet ist, da ihn der beste Wächter verlassen hat. – Welcher ist dieß?
                sagte Adeimantos. – Der mit musischer Bildung vermische
                Vernunftgrund, sagte ich, welcher allein, wenn er sich einfindet, als
                Gewährer der Vortrefflichkeit demjenigen, der ihn hat, Zeit seines
                Lebens einwohnt. – Du hast Recht, sagte er. – Und es ist also, sprach ich,
                der timokratische Jüngling derartig beschaffen, dem derartigen Staate
                gleichend. – Ja, allerdings. – Entstehen aber, sagte ich, wird er ungefähr

                auf folgende Weise: Zuweilen nemlich wird er als Kind der Sohn eines
                guten Vaters sein, welcher in einem nicht gut eingerichteten Staate
                wohnt, dabei alle staatlichen Ehren und jede Ausübung einer Herrschaft
                und alle Rechtshändel und die gesammte derartige Vielgeschäftigkeit
                meidet und lieber verkürzt werden will, um nur mit Solchem Nichts zu
                schaffen zu haben. – Wie aber eigentlich entwickelt er sich? sagte er, –

                Wenn er, erwiederte ich, erstens von seiner Mutter hört, wie dieselbe sich
                darüber ärgert, daß ihr Mann nicht zu den Herrschern gehört und sie sich
                deshalb unter den übrigen Weibern verkürzt fühlt, und sodann auch
                bemerkt, daß ihr Mann sich nicht sehr eifrig um Geldbesitz bemüht und
                nicht überall, im Einzel-Verkehre und in Gerichtshöfen und im
                öffentlichen Leben, kämpft und schmäht, sondern leichten Sinnes all
                Derartiges erträgt, und ferner wahrnimmt, daß er stets nur auf sich seine

                Aufmerksamkeit richtet, sie selbst aber weder sehr ehrt, noch sehr
                mißachtet, und wenn also diese in Folge von all dem sich ärgert und zum
                Sohne sagt, sein Vater sei unmännlich und lasse sich gar zu sehr gehen,
                und anderes Derartiges, wie viele und wie beschaffene Lieder in diesem





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