Page 285 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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und zweitens hundert Kubikzahlen von DreiEs wird der Leser allerdings
                mit Recht erwarten, daß bezüglich dieser so vielfach und so oft schon
                besprochenen platonischen Zahl auch hier wenigstens irgend ein

                Erklärungsversuch gegeben werde, um nicht aus dieser Stelle den
                Eindruck zu gewinnen, daß sie reinen Unsinn enthalte; aber es möge von
                vorneherein festgehalten werden, daß bei unserer geringen Kenntniß der
                antiken Mystik der Mathematik (– denn auf irgend eine Mystik läuft das
                Ganze jedenfalls hinaus –) Alles eben nur als Versuch und als bloße
                Vermuthung ausgesprochen werden kann. Die zahlreichen Erklärungen
                Anderer zu prüfen oder zu widerlegen, ist hier nicht der Ort, und es

                möge mir daher verstattet sein, dem Leser jenes Verständniß der so
                schwierigen Stelle zu entwickeln, welches ich gefunden zu haben und
                bei welchem ich meinerseits mich begnügen zu können glaube.
                     Erstens, was das Motiv und den Werth dieser Zahlen-Musik betrifft,
                so ist es das Verkehrteste von Allem, wenn man glaubt, Plato verspotte
                hier dergleichen Versuche, durch Zahlen-Verhältnisse das Wesen der

                Dinge ausdrücken zu wollen; denn zu solchem Spotte paßt weder die
                vorhergehende Berufung auf die Musen (da ja Plato im Falle eines
                Spottes sich eher auf die »ruhmvollen Fachgelehrten« oder dergl.
                berufen hätte), noch auch der nachfolgende äußerst schlichte Uebergang
                auf die weitere Entwicklung (denn würde es sich um ein Verspotten
                handeln, so müßte nach Plato’s Sitte irgend eine Wendung, wie z. B. »ist
                dieß nicht herrlich gesagt?« oder sonst etwas dergleichen nachfolgen);

                hingegen liegt es im innersten Kerne der platonischen Ansichten tief
                begründet, daß er in der That eine über die gewöhnlichen Formen des
                Wissens hinausgehende Weisheit annimmt und dieselbe auch stets
                Personen in den Mund legt, welche gewissermaßen der unmittelbaren
                Gegenwart entrückt sind und den Charakter eines Sehers, oder
                Propheten, oder Priesters u. dgl. an sich tragen (so z. B. bei

                Beschreibung der Erde im Phädon Cap. 58 f. und bei jenem, was im
                Gastmahle Cap. 22 ff. aus dem Munde der Diotima berichtet wird); und
                wie sehr Plato gerade bezüglich der Natur die Erkenntnis der letzten
                Principien in überschwenglicher Weise in eine gewisse mathematische
                Mystik verlegt habe, bezeugt (abgesehen von einer unten B. X, Cap. 14
                folgenden Stelle) vor Allem der »Timäus«, welchen ganzen Dialog ja
                Plato selbst als einen »verständigen Scherz« bezeichnet, ein Ausdruck,

                an welchen jeder Kundige bei jenen Worten erinnert werden muß, die
                hier an unserer Stelle bezüglich der Musen gebraucht sind. Eben den
                Musen aber, als den höchsten Vertreterinnen all jener Wissenschaften,
                welche im Obigen waren aufgezählt worden, legt hier Plato eine letzte





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