Page 406 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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mit dem Panätius in Gegenwart des Polybius             113  [hierüber] dich

                unterhieltest, zwei Griechen, die wir wohl zu den staatskundigsten
                rechnen dürfen, und daß du dabei viele Gründe zusammenstelltest und
                bewiesest, daß bei weitem die beste Verfassung diejenige sey, die sich
                von unsern Vorfahren auf uns vererbt habe. Und weil du denn zu einer
                Erörterung hierüber der am meisten Gerüstete bist, so wirst du uns Allen
                (um auch im Namen unserer Freunde hier zu sprechen) einen recht
                angelegentlichen Wunsch erfüllen, wenn du uns deine Ansichten über

                den Staat entwickelst.
                     22. Da sprach Jener: Allerdings gestehe ich, daß ich über keinen
                Gegenstand ernstere und vielseitigere Betrachtungen anzustellen pflege,
                als gerade über den, den du, mein Lälius, mir eben vorschlägst. Da ich
                nämlich die Bemerkung gemacht habe, daß jeder Künstler, der sich in

                seinem Fache wirklich auszeichnet, nur darauf denkt, dichtet und sinnt,
                sich in jenem Kunstgebiete zu vervollkommnen; so will ich in dem
                Fache, das meine Eltern und Vorfahren auf mich vererbt haben, ich
                meine die Besorgung und Verwaltung des Gemeinwohls [des Staates],
                mich nicht läßiger finden lassen, als irgend Einer, der aus einer Kunst ein
                Gewerbe macht, dadurch, daß ich auf die größte Kunst etwa weniger
                Anstrengung verwendete, als Jene auf so geringfügige. Allein so wenig

                ich mich mit Dem begnüge, was die größten Weisen Griechenlands                    114
                uns über diesen Gegenstand des Nachdenkens schriftlich hinterlassen
                haben, eben so wenig wage ich es meine eigenen Ansichten über Jene zu
                stellen. Aus diesem Grunde bitte ich euch, bei meinem Vortrage Das zu

                berücksichtigen, daß ich zwar der Ansichten der Griechen nicht ganz
                unkundig bin, ohne sie indessen, in diesem Punkte besonders, den
                unsrigen vorzuziehen; daß ich jedoch bei dem Allem ein Römer bin, der
                zwar durch die Sorgfalt seines Vaters eine anständige Erziehung
                genossen,    115  auch von den Knabenjahren an großen Eifer gehabt hat,

                sich Kenntnisse zu sammeln, der aber demungeachtet aus dem Leben
                und mündlicher Belehrung in der unmittelbaren Umgebung                   116  mehr, als
                aus Büchern gelernt hat.

                     23. Wahrhaftig, mein Scipio, fiel ihm Philus ein, ich bin überzeugt,
                daß an Talent dich Keiner übertrifft, an Erfahrung aber in den
                wichtigsten Dingen, die im Staate vorkommen, du ohne weiteres über
                Allen stehst, wohin aber dein Streben gegangen ist,            117  das wissen wir.
                Darum wenn du, wie du sagst, auch auf jene Wissenschaft oder

                gleichsam Kunst deine Bestrebungen gerichtet hast, so bin ich dem
                Lälius in hohem Grade verpflichtet; denn ich hoffe, was du vortragen





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