Page 838 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Erstes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Was mehr zur Größe des römischen Reiches beitrug, Tapferkeit
oder Glück.
Viele Schriftsteller, darunter der sehr gewichtige Plutarch, Moralia, De
Fortuna Romanorum. sind der Meinung gewesen, die Römer hätten die
Eroberung ihres Reiches mehr dem Glück als ihrer Tapferkeit zu danken
gehabt. Unter andern Gründen führt er an, das römische Volk habe dies
selbst zugestanden, da es der Fortuna mehr Tempel erbaut habe als
irgendeiner andern Gottheit. Auch Livius scheint sich dieser Ansicht
anzuschließen, denn selten läßt er einen Römer von der Tapferkeit reden,
ohne das Glück zu erwähnen. Ich kann das durchaus nicht zugestehen
und glaube auch nicht, daß es sich verfechten läßt. Hat nie eine Republik
solche Fortschritte gemacht wie Rom, so kommt das daher, daß nie eine
Republik so zur Eroberung eingerichtet war wie Rom. Es war die
Tapferkeit seiner Heere, die ihm die Herrschaft gewann, und seine eigne,
von seinem ersten Gesetzgeber erfundene Methode, die ihm das
Erworbene erhielt, wie unten in mehreren Abhandlungen ausführlich
gezeigt werden soll. Jene Schriftsteller sagen, es wäre dem Glück, nicht
der Tapferkeit Roms beizumessen, daß es nie in zwei wichtige Kriege
zugleich verwickelt war. Denn der Krieg mit den Latinern brach erst aus,
als Rom die Samniter zwar nicht niedergeworfen hatte, aber doch zu
deren Verteidigung Krieg führen mußte. Mit den Etruskern kämpfte Rom
nicht eher, bevor es die Latiner unterjocht und die Samniter durch viele
Niederlagen fast ganz entkräftet hatte. Hätten sich zwei dieser Mächte
frisch und ungeschwächt gegen Rom vereinigt, so wäre die römische
Republik ziemlich sicher zugrunde gegangen. Doch woher es auch
kommen mag, nie hatten die Römer zwei wichtige Kriege auf einmal zu
führen; vielmehr scheint es immer, daß beim Ausbruch des einen der
andre erlosch und beim Erlöschen des einen ein andrer entstand. Das
ergibt sich ganz deutlich aus der Reihenfolge ihrer Kriege. Übergehen
wir die, die vor der Zerstörung Roms durch die Gallier stattfanden, so
sehen wir, daß sich während der Kriege mit den Äquern und Volskern,
389-77 v. Chr. solange diese Völker mächtig waren, nie andre Feinde
erhoben. Nach ihrer Bezwingung brach der Samniterkrieg aus. Der erste
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