Page 843 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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ist leicht einzusehen. Nicht das Wohl des Einzelnen, sondern das
                Gemeinwohl ist es, was die Staaten groß macht. Ohne Zweifel wird für
                dies Gemeinwohl nur in Republiken gesorgt, denn dort geschieht alles,

                was zu seiner Förderung dient, wenn es auch zum Schaden dieses oder
                jenes Einzelnen gereicht. Es sind so viele, die dabei gewinnen, daß sie es
                auch gegen den Willen der Wenigen, die darunter leiden, durchsetzen
                können. Das Gegenteil geschieht unter einem Fürsten. Was ihm nützt,
                schadet meist dem Staate, und was dem Staate nützt, schadet ihm. Sobald
                also in einem Staat eine Tyrannenherrschaft auf die Freiheit folgt, ist das
                kleinste Übel, das daraus entspringt, daß er nicht mehr vorwärts kommt,

                nicht mehr an Macht und Reichtum zunimmt. In den meisten Fällen, ja
                immer wird er zurückgehen. Gesetzt auch, er geriete unter die Herrschaft
                eines tapferen Mannes, der durch Mut und Waffenglück sein Gebiet
                erweitert, so hätte doch nicht der Staat den Vorteil davon, sondern er
                allein. Denn er kann die Braven und Guten unter den Bürgern, über die
                er sich zum Tyrannen aufgeworfen hat, nicht belohnen, wenn er nicht in

                stetem Mißtrauen gegen sie leben will. Für diesen Gedankengang vgl.
                den Xenophon zugeschriebenen Dialog »Hiero«, V; Sallust, Catilina,
                VII; Aristoteles, Politik, VIII, 9, 8; Herodot, III, 80. In Buch III, Kap. 20,
                verlangt Machiavelli dagegen, der Fürst solle die Liebe seiner
                Untertanen erwerben. Er kann die eroberten Städte nicht der Hauptstadt,
                deren Tyrann er ist, unterwerfen oder ihr zinsbar machen, denn ihre
                Macht zu vergrößern liegt nicht in seinem Vorteil, vielmehr muß er den

                Staat in Zersplitterung erhalten, so daß jede Stadt und jede Provinz ihn
                als Oberhaupt anerkennt. So hat er allein Vorteil von seinen
                Eroberungen, und nicht das Vaterland. Will man dies durch eine Menge
                andrer Gründe bestätigt finden, so lese man Xenophons Abhandlung
                über die Tyrannei. Der genannte Dialog »Hiero«.
                     Es ist also kein Wunder, daß die alten Völker die Tyrannen mit

                solchem Haß verfolgten und das freie Staatsleben liebten, ja daß schon
                der Name Freiheit von ihnen so hochgeschätzt wurde. Als Hieronymus,
                Hieros Neffe, Der Sohn Hieros II. (269-216 v. Chr.). Er wurde 215 mit
                seiner ganzen Familie umgebracht. Vgl. Livius XXIV, 21. in Syrakus
                ermordet worden war und die Nachricht zu seinem Heere kam, das nicht
                weit von Syrakus stand, entstand zuerst eine Empörung, und es ergriff
                die Waffen gegen seine Mörder. Als es aber erfuhr, daß man in Syrakus

                die Freiheit ausrief, ward es durch den Zauber dieses Wortes
                vollkommen beruhigt, ließ den Zorn gegen die Tyrannenmörder fahren
                und sann nur auf die Wiederherstellung der freien Verfassung. Es ist
                auch kein Wunder, daß die Völker außerordentliche Rache an denen





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