Page 848 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
P. 848
Drittes Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Rom wurde dadurch mächtig, daß es die Nachbarstädte zerstörte
und die Fremden leicht mit gleichen Rechten aufnahm.
Crescit interea Roma Albae ruinis. Livius I, 30. Alba longa wurde
von Tullus Hostilius zerstört. (Indes wächst Rom durch Albas
Untergang.) Wer eine Stadt zu einem großen Reich machen will, muß
ihre Einwohnerzahl soviel wie möglich vermehren. Denn ohne Überfluß
an Menschen wird es ihm nie gelingen, die Stadt groß zu machen. Dies
geschieht auf zweierlei Art, mit Güte oder mit Gewalt. Mit Güte, indem
man den Fremden, die darin wohnen wollen, die Tore weit auftut und
ihnen Sicherheit gewährt, damit jeder gern darin wohnt. Mit Gewalt,
indem man die Nachbarstädte zerstört und deren Einwohner in die eigne
Stadt verpflanzt. Rom befolgte diese Regel so gut, daß es zur Zeit des
sechsten Königs schon 80 000 waffenfähige Männer zählte. Die Römer
machten es wie ein guter Gärtner: damit ein Baum wachse und Frucht
trage, schneidet er die ersten Sprossen ab, damit die Kraft im Stamme
bleibt und er nachher desto kräftigere und fruchtreichere Zweige treibt.
Daß dies Mittel, ein Reich zu gründen und zu vergrößern, notwendig und
gut ist, zeigt das Beispiel Spartas und Athens. Obwohl beide Republiken
die stärksten Heere und die besten Gesetze hatten und Rom viel
aufrührerischer und weniger gut eingerichtet schien, brachten sie es doch
nie zur Größe des römischen Reiches. Dafür läßt sich nur die obige
Ursache angeben, denn Rom hat durch jene zwei Mittel seinen Umfang
so vergrößert, daß es bis zu 280 000 Mann ins Feld stellen konnte,
während Sparta und Athen es nie über 20 000 Mann brachten. An der
günstigen Lage Roms kann dies nicht gelegen haben, sondern allein an
dem verschiedenen Verfahren. Denn Lykurg, der Gründer der
spartanischen Republik, sah ein, daß nichts seine Gesetze leichter
lockern könnte als eine Vermischung mit neuen Einwohnern; er tat
darum alles, um jeden Verkehr mit Fremden zu verhüten, verbot Heiraten
mit Fremden, die Erteilung des Bürgerrechts an sie und überhaupt alle
menschlichen Beziehungen zu ihnen, ja er führte in seiner Republik auch
noch das Ledergeld ein, damit jedem die Lust verginge, Waren oder
847