Page 951 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Anm. 29. und andre Unterdrücker ihres Vaterlandes. Vor solchen
Anschlägen kann sich kein Tyrann schützen, außer durch Verzicht auf
die unumschränkte Gewalt. Da aber keiner dies tut, so nehmen auch die
meisten ein schlimmes Ende, weshalb auch Juvenal sagt:
Ad generum Cereris sine caede et vulnere pauci
Descendunt reges, et sicca morte tyranni. Satiren X,
112 f.
(Wenige Könige gibt's, die zum Orkus hinab ohne Wunden
steigen,
und wen'ge Tyrannen verscheiden unblutigen Todes.)
Die Gefahren bei Verschwörungen sind, wie gesagt, groß und erstrecken
sich auf jeden Zeitpunkt; denn man läuft Gefahr bei der Anstiftung,
während der Ausführung und nach ihr. Es verschwören sich entweder
einer oder mehrere. Bei einem kann man eigentlich nicht von einer
Verschwörung reden, sondern es ist der feste Vorsatz eines Mannes, den
Fürsten zu ermorden. Für diesen allein besteht die erste der drei
Gefahren nicht, die man bei Verschwörungen läuft; denn er schwebt vor
der Ausführung in keiner Gefahr, da er sich ja keinem andern anvertraut
hat; sein Anschlag kann daher dem Fürsten nicht zu Ohren kommen.
Einen solchen Vorsatz kann ein jeder aus allen Ständen fassen, Kleine
und Große, Adlige und Bürgerliche, aus der Umgebung des Fürsten oder
nicht; denn jedem steht es frei, hin und wieder mit ihm zu reden, und wer
mit ihm reden darf, der kann auch seinen Mut an ihm kühlen. Pausanias,
von dem schon die Rede war, ermordete den Philipp von Mazedonien,
als er, von tausend Bewaffneten umgeben, zwischen seinem Sohn und
Schwiegersohn zum Tempel ging; aber er war ein Edler und ein
Bekannter des Fürsten. Doch ein armer Spanier aus dem Pöbel versetzte
König Ferdinand von Spanien Ferdinand der Katholische (1452-1516).
einen Messerstich in den Hals, der zwar nicht tödlich war, aber doch
zeigt, daß er die Absicht und Gelegenheit hatte, ihn zu töten. Ein
Derwisch, ein türkischer Priester, schlug nach Bajesid, S. Buch 1, Kap.
19, Anm. 70. dem Vater des jetzigen Großherrn, mit dem Säbel; er traf
ihn zwar nicht, hatte aber doch die Absicht und Gelegenheit dazu. Leute
mit der gleichen Absicht gibt es, glaube ich, viele, denn die Absicht wird
nicht bestraft und bringt keine Gefahr, aber Männer der Tat gibt es
wenige, und von diesen werden die meisten auf der Stelle
niedergemacht; darum findet sich keiner, der in einen sichren Tod gehen
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