Page 956 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Freveln gegen die Vornehmen getötet wurde. Vgl. Pausanias, V, 5, 1; VI,
14, 4. einer der sechs von Otanes Berufenen und sagte: »Entweder sofort,
oder ich gebe euch alle an.« Sie standen miteinander auf, ohne einem
Zeit zur Reue zu lassen, und führten ihren Plan ohne Mühe aus. Ähnlich
ist das Verfahren der Ätolier bei der Ermordung des Tyrannen Nabis von
Sparta. 192 v. Chr. Vgl. Buch I, Kap. 10, Anm. 29, und Livius XXXV,
35. Sie sandten ihren Bürger Alexamenos mit 30 Pferden und 1000
Mann Fußtruppen zu Nabis unter dem Vorwand, ihm Hilfe zu schicken,
und weihten nur den Alexamenos in das Geheimnis ein, befahlen aber
den andern bei Strafe der Verbannung, ihm blindlings zu gehorchen. Er
zog nach Sparta, teilte seinen Auftrag keinem mit, bis er ihn ausführen
wollte, und so gelang es ihm, den Nabis zu töten.
Alle, die sich derart benahmen, entgingen also den Gefahren, die
man bei der Anstiftung einer Verschwörung läuft, und wer es ebenso
macht, wird ihnen stets entgehen. Daß aber jeder so handeln könnte, will
ich an dem Beispiel des obengenannten Piso beweisen. Piso war ein sehr
hochstehender und angesehener Mann aus der Umgebung Neros, der
großes Vertrauen in ihn setzte. Nero kam oft in seine Gärten, um bei ihm
zu speisen. Piso konnte sich also mit Männern von Mut, Neigung und
Geschick zu einem solchen Anschlag befreunden, was für einen Großen
ein leichtes ist. War nun Nero in seinen Gärten, so konnte er ihnen die
Sache mitteilen und sie mit geeigneten Worten zur Tat anfeuern, die sie
abzuschlagen keine Zeit hatten und die notwendig gelingen mußte. Ja,
wenn man alle andern Verschwörungen untersucht, so findet man
wenige, die sich nicht auf dieselbe Weise hätten ausführen lassen. Aber
die Menschen verstehen gewöhnlich wenig von den Weltgeschäften und
begehen daher oft die größten Fehler, um so größere in Fällen wie dieser,
die etwas Außerordentliches haben. Man darf also die Sache nur im
Notfall und kurz vor der Ausführung mitteilen. Will man sich aber doch
jemanden anvertrauen, dann nur einem einzigen, den man lange geprüft
hat, oder den die gleichen Beweggründe treiben. Einen zu finden ist viel
leichter als mehrere und darum weniger gefährlich. Gesetzt auch, er übte
Verrat, so hat man immer noch ein Mittel, sich zu verteidigen, das es bei
einer Mehrzahl von Verschworenen nicht gibt. Ich habe kluge Leute
sagen hören, mit einem könne man alles reden. Denn wenn man sich nur
nicht verleiten läßt, etwas Schriftliches von sich zu geben, gilt das Ja des
einen soviel wie das Nein des andern. Vor dem Schreiben aber muß sich
jeder hüten wie vor einer Klippe, denn nichts überführt einen leichter als
die Handschrift.
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