Page 960 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Thukydides, II, 95–101, IV, 101. Sie setzten den Tag der Ausführung fest
                und versammelten sich an dem bestimmten Orte, wo sich der König
                befand, aber keiner erhob die Hand gegen ihn. So gingen sie

                unverrichteter Dinge wieder fort, ohne zu wissen, was sie gehindert
                hatte, und schoben die Schuld aufeinander. Diesen Fehler machten sie
                mehrere Male, bis die Verschwörung entdeckt wurde und sie die Strafe
                für ein Unrecht erlitten, das sie tun konnten und nicht wollen. Gegen den
                Herzog Alfonso von Ferrara Alfons I., 1505–1534 Herzog von Ferrara.
                Im Jahre 1506 verschworen sich seine Brüder Don Ferrante und Don
                Giulio gegen ihn. Als die Verschwörung entdeckt wurde, gelang es dem

                Hofsänger Guasconi zu entfliehen; die beiden Prinzen wurden zu
                lebenslänglichem Kerker »begnadigt«. verschworen sich zwei seiner
                Brüder und bedienten sich dazu des Priesters Giannes, des Sängers des
                Herzogs. Der brachte den Herzog auf ihr Verlangen mehrmals zu ihnen,
                so daß es in ihrer Macht stand, ihn zu ermorden. Trotzdem wagte nie
                einer von ihnen die Tat, bis sie schließlich entdeckt wurden und die

                Strafe für ihre Bosheit und Unklugheit erhielten. Diese Lässigkeit konnte
                aber keinen andern Grund haben, als daß die Erscheinung des Herzogs
                sie einschüchterte oder seine Leutseligkeit sie umstimmte.
                     Ein Übelstand oder Fehler bei der Ausführung entsteht also durch
                Unklugheit oder Verzagtheit. Beides bringt dich außer Fassung und läßt
                dich in der Verwirrung deiner Gedanken etwas reden und tun, was du
                nicht solltest. Daß aber die Menschen verzagt und verwirrt werden,

                könnte Livius nicht besser zeigen als in seiner Erzählung von dem
                Ätolier Alexamenos, der, wie erwähnt, den Nabis von Sparta töten
                wollte. Als die Zeit der Ausführung da war und er den Seinigen alle

                nötigen Anweisungen gegeben hatte, da: collegit et ipse animum,
                confusum tantae cogitatione rei. Livius XXXV, 35. (Sammelte
                auch er seinen Geist, der durch den Gedanken an eine so große Sache

                verwirrt war.) Mag ein Mensch noch so festen Muts und gewohnt sein,
                Menschen zu töten und das Schwert zu führen, er wird doch etwas
                verwirrt werden. Daher wähle man nur Leute, die in diesem Handwerk
                erfahren sind, und verlasse sich auf niemand anders, mag er für noch so
                mutvoll gelten. Denn in großen Dingen verlasse sich keiner, der nicht die
                Probe gemacht hat, auf seinen Mut. Bei solcher Verwirrung können dir
                also die Waffen aus der Hand fallen, oder du kannst etwas sagen, was die

                gleichen Folgen hat. Lucilla, des Commodus Schwester, befahl dem
                Quintian, ihn zu ermorden. Im Jahre 183. Der erwartete den Commodus
                am Eingang des Zirkus, stürzte mit gezücktem Dolch auf ihn los und
                rief: »Das schickt dir der Senat!« Infolge dieser Worte wurde er





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