Page 962 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Die Ausführung kann auch durch eine falsche Einbildung gestört
                werden oder durch einen unvorhergesehenen Zufall, der sich während
                der Tat ereignet. An dem Morgen, wo Brutus und seine

                Mitverschworenen den Cäsar ermorden wollten, geschah es, daß dieser
                lange mit Gnejus Popilius Laenas, einem der Verschworenen sprach.
                Angesichts dieser langen Unterredung befürchteten die übrigen, Popilius
                werde Cäsar die Verschwörung entdecken. Sie waren schon willens,
                Cäsar auf der Stelle zu ermorden und nicht abzuwarten, bis er im Senat
                war. Sie hätten es auch getan, wenn die Unterredung nicht geendigt hätte,
                ohne daß Cäsar eine ungewöhnliche Bewegung machte, was sie wieder

                beruhigte. Solche falschen Einbildungen sind wohl zu bedenken und
                klüglich in Rechnung zu stellen, zumal man ihnen leicht verfallen kann.
                Denn wer ein schlechtes Gewissen hat, glaubt leicht, daß von ihm die
                Rede sei. Du kannst ein in ganz andrer Absicht gesprochenes Wort
                hören, darüber den Kopf verlieren, glauben, es gehe dich an, und die
                Verschwörung durch deine Flucht verraten oder ihre Ausführung durch

                unzeitige Überstürzung in Verwirrung bringen. Je mehr aber um die
                Verschwörung wissen, desto leichter ereignet sich dies.
                     Unvorhergesehene Zufälle kann man nur an Beispielen zeigen und
                die Menschen demgemäß warnen. Der schon erwähnte Giulio Belanti
                aus Siena war gegen Pandolfo Petrucci erbittert, weil dieser ihm seine
                Tochter erst zur Frau gegeben und sie ihm dann wieder genommen hatte.
                Er beschloß, ihn zu ermorden, und wählte sich hierzu die Zeit aus, wo

                Pandolfo, der fast täglich einen kranken Verwandten besuchte, an
                Belantis Haus vorbeikam. Nachdem er dies bemerkt hatte, versammelte
                er seine Mitverschworenen in seinem Hause, um Pandolfo im
                Vorbeigehn niederzustoßen. Er stellte sich bewaffnet hinter das Haustor
                und ans Fenster einen, der ein Zeichen geben sollte, wenn Pandolfo sich
                dem Tor näherte. Als nun Pandolfo kam und das Zeichen gegeben war,

                begegnete ihm zufällig ein Freund, der ihn aufhielt, während einige
                seiner Begleiter weitergingen. Sie hörten den Waffenlärm, entdeckten
                den Hinterhalt, und Pandolfo rettete sich, Belanti aber mußte mit seinen
                Gefährten aus Siena fliehen. Im Jahre 1500. Die zufällige Begegnung
                verhinderte also die Ausführung und ließ Belantis Unternehmen
                scheitern. Da solche Zufälle selten sind, gibt es kein Mittel dagegen.
                Wohl aber muß man alle Zufälle, die eintreten können, prüfen und für

                Abhilfe sorgen.
                     Es bleibt uns jetzt nur noch von den Gefahren zu sprechen, die man
                nach der Ausführung läuft. Hier ist jedoch nur die eine Gefahr, daß
                jemand am Leben bleibt, der den Tod des Fürsten rächt. Das können





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