Page 958 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Kaiserwürde befleckte, beschloß er, sie töten zu lassen, und schrieb die
Namen der Marcia, des Laetus und Eclectus und einiger andrer, die er in
der nächsten Nacht umbringen lassen wollte, auf einen Zettel, den er
unter sein Kopfkissen legte. Während er im Bade war, fand ein Knabe,
den er sehr liebte und der im Zimmer auf dem Bett spielte, den Zettel
und begegnete damit beim Herausgehen der Marcia. Sie nahm ihn ihm
weg, las ihn und nachdem sie den Inhalt gesehen, ließ sie sofort den
Laetus und Eclectus holen. Alle drei erkannten die Gefahr, in der sie
schwebten, beschlossen ihr zuvorzukommen und ermordeten, ohne Zeit
zu verlieren, den Commodus in der folgenden Nacht. Im Jahre 192.
Der Kaiser Antoninus Caracalla stand mit dem Heer in
Mesopotamien. Sein Präfekt, Macrinus, war ein mehr friedlicher als
kriegerischer Mann. Da nun schlimme Herrscher stets fürchten, andre
möchten so an ihnen handeln, wie sie selbst es zu verdienen glauben, so
schrieb Antoninus an seinen Freund Maternianus in Rom, er solle die
Sterndeuter befragen, ob einer nach der Kaiserwürde trachte, und ihm
dies melden. Materianus antwortete, dieser Mann sei Macrinus. Der
Brief kam jedoch eher in die Hände des Macrinus als in die des Kaisers.
Macrinus erkannte, daß er nur die Wahl hatte, den Kaiser vor der
Ankunft eines neuen Briefes aus Rom zu ermorden, oder selbst zu
sterben. So trug er dem ihm treu ergebenen Centurio Martialis, dessen
Bruder der Kaiser vor wenigen Tagen hatte hinrichten lassen, die
Ermordung auf, und dieser führte sie auch glücklich aus. 217 bei
Carrhae.
Man sieht also, daß die Not, die keine Zeit läßt, fast die gleiche
Wirkung hat wie das oben beschriebene Verfahren des Nelematos von
Epirus. Man sieht auch, was ich zu Anfang dieses Kapitels sagte, daß
Drohungen dem Fürsten mehr schaden und wirksamere Verschwörungen
hervorrufen als Kränkungen. Davor muß sich ein Fürst hüten, denn man
muß die Menschen entweder liebkosen oder sich vor ihnen sichern, nie
aber sie so weit bringen, daß ihnen die Notwendigkeit einleuchtet,
entweder selbst zu sterben, oder einen andern ums Leben zu bringen.
Die Gefahren bei der Ausführung entstehen entweder aus
Änderungen in den Anordnungen oder aus der Verzagtheit des
Vollstreckers der Tat, oder aus einem Fehler, den er aus Unvorsichtigkeit
macht, oder aus unvollständiger Ausführung, wenn nämlich einige der zu
Ermordenden am Leben bleiben.
Nichts stört und hindert alle menschlichen Unternehmungen mehr,
als wenn man plötzlich und ohne Frist eine Anordnung ändert und das
zuerst Angeordnete umwirft. Nirgends aber stiftet eine solche
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