Page 955 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Zahl der Mitwisser drei oder vier übersteigt. Werden auch nur zwei
                ertappt, so läßt sie sich nicht mehr verbergen, denn zwei können nie in
                all ihren Aussagen übereinstimmen. Wird aber nur einer ergriffen und ist

                er ein beherzter Mann, so kann er seine Mitverschworenen standhaft
                verschweigen. Diese müssen aber ebenso beherzt sein wie er, um
                unerschrocken zu bleiben und sich nicht durch die Flucht zu verraten.
                Denn verliert von den Gefangenen oder noch Freien nur einer den Mut,
                so kommt die Verschwörung heraus. Ein seltenes Beispiel ist die von
                Livius XXIV, 5 (215 v. Chr.) berichtete Verschwörung gegen König
                Hieronymos von Syrakus. Theodotos, einer der Verschworenen, war

                verhaftet worden, verschwieg aber alle Mitschuldigen mit großer
                Standhaftigkeit und beschuldigte die Freunde des Königs. Andrerseits
                verließen sich alle Verschworenen so fest auf seine Standhaftigkeit, daß
                keiner Syrakus verließ oder irgendwelche Furcht zeigte.
                     Allen diesen Gefahren ist man also schon bei der Anstiftung einer
                Verschwörung ausgesetzt, noch bevor sie zur Ausführung kommt. Ihnen

                zu entgehen gibt es folgende Mittel. Das erste und beste, oder besser
                gesagt, das einzige ist, den Mitverschworenen keine Zeit zu lassen, dich
                zu verraten, und ihnen deshalb deinen Plan erst kurz vor der Ausführung
                mitzuteilen, nicht eher. Wer es so macht, entgeht mit Sicherheit den
                Gefahren der Anstiftung und meist auch den übrigen, und so war denn
                auch stets der Erfolg gut. Jeder kluge Mann vermag füglich ebenso zu
                verfahren. Zwei Beispiele mögen genügen.

                     Als Nelematos die Tyrannei des Aristotimos, des Tyrannen von
                Epirus, nicht länger ertragen konnte, versammelte er in seinem Hause
                viele Verwandte und Freunde und ermahnte sie, das Vaterland zu
                befreien. Darius I., der Sohn des Hystaspes, bestieg 521 nach
                Beseitigung des falschen Smerdis den persischen Thron. Vgl. Herodot,
                III, 68 ff. Als nun einige Bedenkzeit verlangten, ließ er von seinen

                Dienern die Haustüren schließen und sagte zu den Versammelten:
                »Entweder ihr schwört mir, die Sache sofort auszuführen, oder ich
                überliefere euch alle gefangen dem Aristotimos.« Diese Worte wirkten;
                sie leisteten den Schwur, gingen ohne Zeitverlust ans Werk und führten
                den Befehl des Nelematos mit Erfolg aus. – Ein Magier hatte sich durch
                List des persischen Thrones bemächtigt. Als nun Otanes, ein Großer des
                Reichs, den Betrug entdeckt hatte, beriet er darüber mit sechs andern

                Vornehmen und sagte, er wolle das Reich von der Tyrannei des Magiers
                befreien. Als einer von ihnen nach dem Zeitpunkt fragte, erhob sich
                Darius, Wohl Aristotimos, Tyrann von Elis und dem Peloponnes, der in
                den Wirren nach dem Tode des Pyrrhus hochkam und nach furchtbaren





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