Page 954 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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auf die Probe gestellt und treu befunden, so kann man nach dieser Treue
                doch nicht die jetzt nötige bemessen; denn die jetzige Gefahr übertrifft
                alle andern bei weitem. Bemißt man jemandes Treue nach der

                Unzufriedenheit mit dem Fürsten, so kann man sich leicht irren. Denn
                sobald man einem Unzufriedenen seine Gesinnung offenbart hat, gibt
                man ihm Gelegenheit, sich Genugtuung zu verschaffen, und sein Haß
                muß entweder sehr heftig oder deine Macht sehr groß sein, wenn er treu
                bleiben soll. So Herodot, III, 71, bei dem Beispiel des Magiers (s. u.).
                Daher werden so viele Verschwörungen verraten und gleich zu Anfang
                unterdrückt; ja es gilt für ein Wunder, wenn eine Verschwörung bei

                vielen Teilnehmern lange geheim bleibt. So die des Piso gegen Nero,
                oder zu unserer Zeit die der Pazzi S. Seite 251. gegen Giuliano und
                Lorenzo von Medici, um die mehr als fünfzig Personen wußten, und die
                doch bis zur Ausführung unentdeckt blieb.
                     Aus Unvorsichtigkeit werden Verschwörungen entdeckt, wenn ein
                Mitverschworener achtlos davon spricht, so daß ein Diener oder eine

                dritte Person es hört. So war es bei den Söhnen des Brutus der Fall, die
                bei ihrer Unterhandlung mit den Abgesandten des Tarquinius von einem
                Sklaven belauscht wurden, der sie angab. Livius II, 4. Oder wenn du aus
                Leichtsinn dein Geheimnis einem Weibe oder einem Knaben, die du
                liebst, oder einer andern leichtfertigen Person anvertraust. So erzählte
                Dymnus, einer der Mitverschworenen des Philotas gegen Alexander,
                seinen Plan dem Nicomachus, einem von ihm geliebten Knaben, der ihn

                sofort seinem Bruder Cebalinus mitteilte, und dieser dem König. 330 v.
                Chr. Vgl. Curtius Rufus, Geschichte Alexanders des Großen, VI, 7.
                     Für die Entdeckung durch Mutmaßung liefert die Verschwörung des
                Piso gegen Nero ein Beispiel. 65 n. Chr. Vgl. Tacitus, Annalen, XV, 54 f.
                Scaevinus, einer der Mitverschworenen, machte am Tage vor der
                beabsichtigten Ermordung Neros sein Testament, befahl seinem

                Freigelassenen Melichius, einen alten rostigen Dolch schleifen zu lassen,
                schenkte allen seinen Sklaven die Freiheit, gab ihnen Geld und ließ
                Verbandzeug zurecht machen. Diese Anstalten bestärkten Melichius in
                seinem Verdacht, und er gab ihn dem Nero an. Scaevinus und Natalis,
                ein andrer Mitverschworner, mit dem man ihn tags zuvor lange heimlich
                hatte reden sehen, wurden ergriffen, und da sie sich in ihren Aussagen
                über die Unterredung widersprachen, mit Gewalt zum Geständnis der

                Wahrheit gebracht. So ward die Verschwörung zum Verderben aller
                Teilnehmer aufgedeckt.
                     Vor dieser Entdeckung der Verschwörungen durch Bosheit,
                Unvorsichtigkeit oder Leichtsinn kann man sich nicht hüten, sobald die





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