Page 964 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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einer unverdorbenen Republik können keine schlimmen Grundsätze
aufkommen, und somit kann auch kein Bürger auf solche Gedanken
geraten. Die Bürger können also durch mancherlei Mittel und auf
mancherlei Wegen zur Herrschaft streben, ohne Gefahr zu laufen,
unterdrückt zu werden, teils weil die Republiken langsamer, weniger
argwöhnisch und daher auch weniger vorsichtig sind als ein Fürst, teils
weil sie mehr Rücksicht auf ihre großen Bürger nehmen und diese
dadurch kühner werden, etwas gegen den Staat zu unternehmen.
Jeder hat Sallusts Beschreibung der Verschwörung des Catilina
gelesen und weiß, daß Catilina nach ihrer Entdeckung nicht nur in Rom
blieb, sondern in den Senat kam und ihm sowie dem Konsul Grobheiten
sagte; so große Rücksicht nahm Rom auf seine Bürger. Als er dann Rom
verlassen hatte und schon beim Heere war, wären Lentulus und die
andern doch nicht verhaftet worden, hätte man nicht schwerbelastende
Briefe von ihrer Hand gehabt. Als Hanno, einer der angesehensten
Bürger Karthagos, nach der Alleinherrschaft strebte, traf er Anstalten,
bei der Hochzeit einer seiner Töchter den ganzen Senat zu vergiften und
sich dann zum Fürsten zu machen. Als man dies erfuhr, tat der Senat
nichts andres dagegen, als daß er ein Gesetz gegen den Aufwand bei
Gastmählern und Hochzeiten erließ; so große Rücksicht nahm man auf
Hannos Größe.
Bei der Ausführung einer Verschwörung gegen das Vaterland ist
allerdings die Schwierigkeit und Gefahr größer. Denn deine eignen
Kräfte reichen selten gegen so viele hin, und nicht jeder hat ein Heer
hinter sich, wie Cäsar, Agathokles S. Buch II, Kap. 12, Anm. 59. oder
Kleomenes S. Buch I, Kap. 9, Anm. 28. und ähnliche, die ihr Vaterland
auf einen Schlag mit Gewalt unterwarfen. Für solche ist es freilich sehr
leicht und sicher; die andern aber, die über keine solche Macht verfügen,
müssen die Sache entweder durch List und Kunst oder durch fremde
Hilfe ausführen. List und Kunst brauchte der Athener Pisistratos. Als er
sich durch seinen Sieg über die Megarer die Gunst des Volkes errungen
hatte, kam er eines Morgens verwundet zum Vorschein, sagte, der Adel
habe ihn aus Neid mißhandelt, und bat um die Erlaubnis, Bewaffnete zu
seinem Schutz annehmen zu dürfen. Von dieser Stufe stieg er dann leicht
zu solcher Macht, daß er Tyrann von Athen wurde. Pandolfo Petrucci
Vgl. Seite 241. kehrte mit andern Verbannten nach Siena zurück und
erhielt den Befehl über die Stadtwache, einen niedrigen Posten, den die
andern ausschlugen. Nichtsdestoweniger verschafften ihm diese Soldaten
mit der Zeit solches Ansehen, daß er in kurzem Fürst wurde. Viele andre
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