Page 97 - Philosophie und Politik: Staatstheorien von Platon, Cicero, Machiavelli und Thomas Morus (Vollständige deutsche Ausgaben)
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Ansicht lächerlich finden dürfen., da es in unwürdiger Weise
                ausgesprochen ist, so würde kaum irgend Jemand sich selbst, da er ja ein
                Mensch ist, für unwürdig solcher Dinge halten und es sich zum Vorwurfe

                machen, wenn auch ihm es in den Sinn käme, Derartiges zu sagen oder
                zu thun, sondern ohne sich zu schämen und ohne standhaft zu sein,
                würde er bei kleinen Vorkommnissen viele Thränen und Wehklagen
                ausgießen. – Du sprichst sehr wahr, sagte er. – Er darf es aber ja nicht,
                wie so eben unsere Begründung uns zeigte, welcher wir glauben müssen
                so lange, bis uns Jemand durch eine andere, bessere, überzeugt. – Also er
                darf ja nicht. – Nun aber sollen jene ja auch nicht lachlustig sein; denn

                wenn sich Jemand heftigem Lachen hingibt, so pflegt solches auch einen
                heftigen Rückschlag nach sich zu ziehen. – So scheint es mir, sagte er. –
                Weder also dürfen wir es uns gefallen lassen, wenn Jemand von
                Menschen, welche der Rede werth sind, dichtet, daß sie vom Lachen
                überwältigt wurden, noch aber viel weniger, wenn er es von Göttern
                dichtet. – Ja, noch viel weniger allerdings, sagte er. – Nicht wahr also,

                auch Derartiges werden wir uns von Homeros betreffs der Götter nicht
                gefallen lassen:

                        »unauslöschliches Gelächter aber entstand unter den seligen
                        Göttern,
                        wie sie den Hephästos so emsig durch die Gemächer
                        umhergehen sahen«Ilias I, V. 599 f..


                Nicht dürfen wir uns Solches gefallen lassen zufolge deiner Begründung.

                – Ja, wenn du sie als die meinige bezeichnen willst; also wir dürfen ja
                nicht es uns gefallen lassen. – Nun aber ist ja auch die Wahrheit hoch zu
                schätzen; denn wenn wir so eben richtig angabenIm letzten Cap. des
                vorigen Buches., daß auch wirklich für Götter die Täuschung
                unbrauchbar ist, für Menschen aber gleichsam in Form einer Arznei
                brauchbar, so ist klar, daß ja das Derartige den Aerzten zuzuweisen ist,
                von den einzelnen gewöhnlichen Menschen aber nicht berührt werden
                darf. – Ja, klar ist dieß, sagte er. – Den Herrschern also eines Staates

                kömmt es, wenn je überhaupt irgend Jemandem, zu, Täuschungen zu
                begehen, entweder um der Feinde, oder um der Bürger willen zum
                Nutzen des Staates; die sämmtlichen Uebrigen aber dürfen das Derartige
                nicht berühren, sondern eine gegen solche Herrscher von einem
                Einzelnen begangene Täuschung werden wir als das nemliche und sogar

                als ein größeres Vergehen bezeichnen, wie wenn ein Kranker gegen
                einen Arzt, oder ein die Leibesübungen Lernender gegen einen
                Ringmeister betreffs der Zustande seines eigenen Körpers nicht die




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