Page 64 - Kompetenzorientierte Unternehmensentwicklung
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Kapitel 2: Strategielos in den Untergang

                         nachgewiesen, dass es dem Menschen  sehr  schwer fällt, mit Vielfalt und
                         Komplexität angemessen umzugehen, weil er durch die Beschäftigung mit
                         der gegenwärtigen Herausforderung nicht in der Lage ist, zugleich die Aus-
                         wirkungen  seines  Handelns auf die Zukunft  zu berücksichtigen. Dörner
                         nannte dies das „Prinzip der Überwertigkeit des aktuellen Motivs“.

                         „Prinzip der Überwertigkeit des aktuellen Motivs“

                         In dem Experiment konfrontierte Dörner die Versuchspersonen mit einer
                         Aufgabe, die weit über 2.000 dynamische Variablen umfasste, die sich gegen-
                         seitig beeinflussten: Die Teilnehmer übernahmen das Amt eines Bürger-
                         meisters der im Computer simulierten Stadt „Lohhausen“. Während eines
                         fiktiven Zeitraums von 10 Jahren verfügten sie über diktatorische Vollmach-
                         ten und konnten jede Entscheidung treffen, die ihrer Meinung nach  dem
                         ökonomischen und  sozialen Wohl der Lohhausener  diente. Das Ergebnis:
                         Die meisten „Bürgermeister“ scheiterten und trieben Lohhausen in den Ru-
                         in. Der Grund für das Scheitern: Die Sorge um gegenwärtige Missstände
                         hatte die „Bürgermeister“  daran gehindert, zukünftige Entwicklungen ge-
                         danklich vorwegzunehmen.

                         Diesem Dilemma sehen sich auch Unternehmer und Führungskräfte ausge-
                         setzt: Die nächste Aktionärsversammlung steht an, die nächste Vorstandswahl
                         steht vor der Tür, das operative Geschäft muss stimmen. Dies zwingt dazu, die
                         aktuelle Situation eines Unternehmens über Gebühr in den Mittelpunkt zu
                         stellen. Wenn dann kein langfristig wirksames Strategiekonzept existiert, das
                         bei der Bewältigung der komplexen Aufgaben gleichsam als roter Faden oder
                         als Orientierung und Halt gebendes Geländer dient, drohen sich die Verant-
                         wortlichen in der Bewältigung der Tagesaufgaben zu verlieren.

                         Ein anschauliches Beispiel bietet das Thema „Personalentwicklung in Kri-
                         senzeiten“: Reflexartig besteht die erste Lösung, die den Managern in
                         schwierigen Zeiten zuallererst einfällt, darin, Personal abzubauen, Menschen
                         zu entlassen und auf diese Weise Kosten zu senken. Das sind dann genau
                         diejenigen Menschen, die den Firmen in den Unternehmen fehlen, wenn es
                         wieder aufwärtsgeht.

                         Strategischer Weitblick und das Vorhandensein eines langfristigen Konzepts
                         hätten vielleicht zu der Überlegung geführt,  ob es nicht zumindest  einige



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