Page 119 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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Saure (Sauerteig) und ganz besonders nicht saure Vorteige (Poolish, Dampfl) mit den richtigen
Mikroorganismen über 20 Stunden gereift waren schon immer, besonders im alpenländischen Raum,
der Weg zum geschmackvollen Roggen- oder Weizenbrot. Was sich früher über Generationen
empirisch entwickelt hatte, wird heute durch die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem Verfahren,
das jeden Tag gleich hervorragende Backwaren ermöglicht. Milde, aromatische Sauerteige mit hoher
Lockerungskraft entsprechen den Wünschen der Kunden. Hohe Mengen an Poolish, einem Vorteig,
der zu gleichen Teilen aus Mehl und Wasser besteht, ergeben Weizengebäcke, die die Lust auf
ungebändigten Genuss befriedigen.
Alte Tradition und neues Wissen lassen geschmackvolles Brot entstehen.
Jeder Bäcker muss heute nicht nur einen Sauerteig bereiten, nicht nur einen Weizenvorteig führen,
sondern mit vielen unterschiedlichen Vorteigen, so wie es früher war, seine Gebäckvielfalt bei jeder
Sorte einzigartig, unverkennbar machen. Der Verzicht auf jegliche Zusatzstoffe ist durch
verschiedene Vorteige möglich, doch entscheidend ist die Beherrschung von gleicher Temperatur
über das Jahr hinweg, gleicher Wassermenge in jedem Teig und den gleichen Mikroorganismen in
den jeweiligen Teigen. Dazu sind Sorgfalt und gute Organisation nötig.
Die Bäckerkunst besteht heute darin, traditionelle Erfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse
in der täglichen Arbeit zu verbinden, um Gebäcke und Brote aus Roggen, Weizen und Dinkel täglich
in der gleichen Qualität zu produzieren. Erst dann erfährt der Kunde einen täglichen Genuss bei
einem Produkt, das seit vielen tausend Jahren nicht nur den Hunger stillt, sondern auch ein
geschmackliches Erlebnis liefert. Die Kunst des Bäckers besteht in der heutigen Zeit darin, ein
Grundnahrungsmittel aus der Masse als ein individuelles Kunstwerk herauszuheben und damit den
Kunden ein unvergleichliches Sinneserlebnis zu bereiten.
Prof. Dr. Walter Freund ist Konditormeister und Lebensmittelwissenschaftler. Nach
vielen Jahren an der Universität arbeitet er heute als Berater für viele Bäckereien,
um mit seinem theoretischen Wissen ganz praktisch die Produktion von
Premiumgebäcken zu unterstützen.