Page 121 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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Begleiter auf meinem Weg von der Schule nach Hause.
     Viele  Jahrzehnte  später  las  ich,  dass  schon  vor  Tausenden  Jahren  sich  die  Menschen  Sorgen
  machten, ob die Gegangenen in ihrem neuen Leben das ihnen vertraute Brot wohl auch haben werden,
  ob  sie  es  nach  dem  Tode  verlernt  haben,  das  Brot,  ihr  Brot  herzustellen,  zu  backen.  In  einer
  Grabkammer des ägyptischen Mittleren Reiches fand man eine detaillierte Anleitung in Schaubildern
  Brot zu backen. In der Nähe des heutigen Luxor befindet sich die Grabkammer der Senet. Senet war
  die Frau oder Mutter eines hohen Beamten. Vom Korn ausgehend, mahlen, Teigrollen formen, Ofen
  aufheizen,  ein  Teigstück  wird  in  den  Ofen  geschoben,  ein  anderes  entnimmt  man,  alles  wurde

  dargestellt, um der dahingegangenen Seele in der anderen Welt zu helfen, frisches Brot zu backen.
     Die  Kunst  des  Backens  sollte  in  der  anderen  Welt  nicht  verloren  gehen.  Darum  war  Schritt  für
  Schritt, vom Korn angefangen bis zum Backofen, alles in der Grabkammer aufgezeichnet. Die Kunst
  des  Fertigens  von  Brot  ist  eine  Handwerkskunst  für  die  Ewigkeit,  die  nicht  an  das  irdische  Leben
  gebunden  war.  Seelen  bedurften  der  himmlischen  Nahrung  des  Brotes,  das  schon  auf  Erden  eine
  Ahnung schenkte, wie es einst sein werde in der Ewigkeit, in der Herrlichkeit.
     Doch  heute  ist  Brotbacken  leider  ein  industrieller  Prozess  geworden.  Bei  den  meisten  Bäckern
  liegen  die  Unterschiede  nur  noch  im  Maschinenpark  und  den  Backmischungen.  Viele  arbeiten  mit
  vorgefertigten Mehlmischungen, die alles beinhalten und denen nur noch Wasser zugesetzt werden
  muss. Noch schlimmer ist es, wenn Bäcker tiefgefrorene, gegarte Teiglinge zukaufen und nur noch
  abbacken müssen. Diese Teiglinge haben eine Haltbarkeit von 12 Monaten und enthalten Unmengen
  an Zusatzstoffen. Rationalisieren lautet auch hier das Zauberwort. Während mein Bäcker sich die Zeit
  für  eine  mehrstufige  Sauerteigführung  nahm  und  den  Teig  von  Hand  knetete,  geht  es  bei  vielen
  Bäckern ruck, zuck.
     Lassen Sie mich nur einige wenige dieser in den Bäckereien verwendeten Zusatzstoffe und ihre
  technologische Wirkung bei der Verarbeitung und im fertigen Produkt beispielhaft anführen:

     Dem Mehl ist meistens Ascorbinsäure (E 300) zugesetzt, um den Teig elastisch zu halten, und was
  ganz wichtig ist, ein mit Ascorbinsäure angereicherter Teig hält mehr Wasser. Gewicht bringt Geld,
  und Wasser kostet fast nichts. Außerdem wurde früher Mehl nach der Vermahlung ca. 2–3 Wochen
  abgelagert, diese Zeit bekommt es heute nicht mehr, auch deshalb wird Ascorbinsäure zugegeben.
     Cystein,  eine  schwefelhaltige  Aminosäure,  wird  dem  Teig  beigefügt,  um  die  Mehlreifung  zu
  beschleunigen und die Teigelastizität zu verbessern. Cystein wird hauptsächlich dort zugegeben, wo
  Teige direkt, sprich ohne Teigruhe, über große Teigbänder laufen und zu industriellen Brötchen, die
  alle  gleich  aussehen,  ausgestanzt  werden.  Ohne  Cystein  wäre  der  Teig  zu  zäh  und  das  Ausstanzen
  nicht möglich.
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