Page 74 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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GERSTE
„Zum Scheckbauern ist im Sommer eine Familie gekommen. Die war sehr vornehm, und sie
ist aus Preußen gewesen. Wie ihr Gepäck gekommen ist, war ich auf der Bahn, und der Stationsdiener
hat gesagt, es ist lauter Juchtenleder, die müssen viel Gerstl haben.“
Die Vornehmen aus Preußen, die in Ludwig Thomas „Lausbubengeschichten“ mit der ländlichen
bayerischen Welt konfrontiert wurden, hatten bestimmt keine Ahnung, was „Gerstl“ ist: Geld. Wer
Gerste in ausreichender Menge hatte, war ein gemachter Mann, schließlich ist Bayern das Land des
Biers, und die Brauer brauchen Gerste zum Malzen. Gerste (lat. hordeum) ist eine der ältesten
Getreidearten und fungierte schon vor unserer Zeitrechnung, zum Beispiel bei den Ägyptern, als
Zahlungsmittel. Im Mittelalter diente sie auch als Gewichtsmaß: Ein Karat entsprach dem Gewicht von
drei Gersten- oder vier Weizenkörnern.
Kultiviert wurde das wilde Grasgewächs seit der Steinzeit: Gerste zählt zu den Urkulturarten unter
den Getreiden. Auch „Ötzi“ hatte Gerste gegessen, bevor er vor rund 5.000 Jahren in den Ötztaler
Alpen starb. Da Gerste anspruchslos ist, auch auf mageren Böden gedeiht und zudem unter allen
Getreidearten, die man vor der Entdeckung der Neuen Welt kannte, die kürzeste Wachstumszeit hat,
war sie über Jahrtausende das wichtigste Getreide, aus dem Brei und Fladenbrot hergestellt wurden.
Auch als in der Antike zunehmend Weizen kultiviert wurde, stand die Gerste noch immer hoch im