Page 75 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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Kurs und hielt ihre Position als Hauptgetreidesorte. Man pries ihre Bekömmlichkeit und schrieb ihr
offenbar auch noch andere Eigenschaften zu – Homer nannte sie das „Mark der Männer“. Erst ab dem
vierten vorchristlichen Jahrhundert begann der Weizen die Gerste als Brotgetreide zu verdrängen,
und die Römer hatten für das „Mark der Männer“ nur noch markige Schmähworte übrig:
„Hühnerfutter, Sklavenfutter!“ Weder Hühner noch Sklaven waren damit übrigens schlecht bedient.
Gerste ist reich an Vitamin B2 und B6 – der von den vornehmen Römern konsumierte Weizen
hingegen enthält zwar mehr B1, schneidet aber im Vergleich mit B2 und B6 schlechter ab. Freilich
bietet Weizen als Brotgetreide einen unschätzbaren Vorteil: Gerste ist kleberarm, reines Gerstenbrot
neigt zur Rissbildung und wird leicht krümelig.
Heute spielt Gerste nur noch in klimatisch extremen Gebieten, rauen Regionen oder hohen Lagen,
wo man ihre Widerstandsfähigkeit und die kurze Reifezeit schätzt, eine Rolle als Brotgetreide. Sie
wird als Futtermittel angebaut und natürlich um jenes Brot herzustellen, das die Menschen in flüssiger
Form zu sich nehmen: den Gerstensaft. Von allen Getreidearten eignet sich die Gerste am besten zum
Mälzen. Verwendung findet dabei die Braugerste, eine zweizeilige, feinspelzige Sorte mit niedrigem
Eiweißgehalt, voller Kornausbildung und guter Keimfähigkeit, die eigens für die Bedürfnisse der
Brauwirtschaft gezüchtet wurde.
Botanisch klassifiziert man die Gerstensorten nach der Ährenform: sechszeilige, vierzeilige und
zweizeilige Gerste. Erstere wird kaum mehr angebaut, letztere dient als Braugerste. Gerste gehört zu
den Süßgräsern, von denen es etwa 25 Arten gibt, die im „Gerstengürtel“ (zwischen dem 55. und dem
65. Grad nördlicher Breite) wachsen. Bei der Saatgerste unterscheidet man die einjährige
Sommergerste und die einjährig überwinternde Wintergerste.