Page 77 - Brot backen - wie es nur noch wenige können
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HAFER
In der Wertschätzung der Menschen in unseren Breiten liegt der Weizen ganz vorne, gefolgt
von Roggen und Gerste. Hafer rangiert hinter diesen drei Getreiden, er war überwiegend Viehfutter,
das spiegelt sich auch in seinem Namen wider. Das mittelhochdeutsche Haber, das in der
süddeutschen, österreichischen und schweizerischen Mundart erhalten blieb, ist eine Ableitung vom
germanischen habra (Ziegenbock). Die ursprüngliche Bedeutung lautet also „Ziegenbockskraut“.
Hafer war billig, er ernährte die Tiere. Die Menschen, die ihn als Brei aßen, gehörten zu den Armen.
Im Bairischen sagt man, jemand ist „auf die Haberhälm“ gekommen, wenn er in Not gerät. Ist einer
„aus dem Hafer in die Gerste geraten“, bedeutet das, dass er von einer misslichen Lage in eine noch
schlimmere geraten ist. Dies hat nun nichts mit der ökonomischen Wertigkeit der beiden Getreide zu
tun: Gerstenähren mit ihren langen Grannen stechen, der Hafer ist ein Rispengras und verletzt die
Haut nicht. Diese Rispen zeichnen den Hafer aus und stellen ihn – ästhetisch betrachtet – über seine
Kollegen, die feste Ähren bilden. Die Früchte des Hafers hängen einzeln an feinen Trägern und
reagieren auf jeden Windzug. Diese Bewegung des goldgelben Haferfeldes haben Impressionisten
wie Claude Monet und Vincent van Gogh fasziniert und inspiriert.
Funde in Schweizer Pfahlbauten belegen, dass der Hafer (lat. avena) bereits in der Bronzezeit
kultiviert wurde. Die Germanen schätzten ihn, der römische Schriftsteller Plinius, der im