Page 149 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          5.1  •  Rechtsquellen des EU-Rechts


          Adressaten und Wirkung: Das Primärrecht bindet rechtlich,   Unmittelbare Geltung und
          soweit es sie betrifft, zunächst einmal die Mitgliedstaaten und   Anwendbarkeit
          ihre Organe auf der einen und die Union und ihre Organe auf
          der anderen Seite. Es gilt aber, soweit anwendbar, auch für na-
          türliche und juristische Privatpersonen, die sog. Marktbürger.
          Das Primärrecht gilt unmittelbar, also ohne weitere Vollzugs-
          anordnung durch ein Organ der EU oder der Mitgliedstaaten
          in dem Umfang, in dem es vorgesehen ist. Neben der unmit-
          telbaren Geltung kann es auch unmittelbar anwendbar sein,
          das bedeutet, dass Einzelpersonen und Firmen unmittelbar aus
          der Norm subjektive Rechte herleiten (van Gend & Loos, Slg.
          1963, 1) und sich vor Behörden und Gerichten darauf berufen
          können. Diese Unterscheidung zwischen nur objektiver Gel-
          tung und subjektiver Wirkung ist von immenser theoretischer
          und praktischer Bedeutung. Der EuGH hat eine ganze Reihe
          von Primärrechtsnormen als unmittelbar anwendbar charak-
          terisiert, darunter alle Grundfreiheiten (▶ Abschn. 6.3).
            Um unmittelbar zu gelten, müssen Primärrechtsnormen so   Voraussetzungen
          spezifisch und genau sein, dass sie ohne weitere Konkretisie-
          rung ihren Tatbestand und ihre Rechtsfolge erkennen lassen.
          Sie dürfen keine Bedingungen für ihre Anwendung haben und
          den Mitgliedstaaten keinen Ermessensspielraum lassen, also
          keine Möglichkeit, zwischen mehreren Rechtsfolgen zu wäh-
          len. Der EuGH hat dementsprechend in seinem Urteil zum Fall
          van Gend & Loos die unmittelbare Geltung einer Vertragsnorm
          bei „rechtlicher Vollkommenheit“ festgehalten. Unmittelbare
          Geltung bedeutet somit, dass die EU-Rechtsnormen wie etwa
          nationales objektives Recht in den Mitgliedstaaten allgemein
          bindend sind. Ein persönlicher, subjektiver Anspruch lässt sich
          dagegen erst aus einer Norm herleiten, wenn sie erkennbar
          darauf abzielt, persönliche subjektive Ansprüche zu gewähren,
          sie also unmittelbar anwendbar ist. Diese Unterscheidung ist
          im deutschen Recht ähnlich, allerdings nicht ganz mit dem
          zwischenstaatlichen Unionsrecht zu vergleichen. Im deutschen
          Verwaltungsrecht gewährt eine Norm erst dann ein subjektives
          Recht, wenn sie erkennbar individuell und spezifisch ein sol-
          ches zuweist. Zur vergleichbaren Problematik bei Richtlinien
          ▶ Abschn. 5.1.2.
            Die Primärrechtsebene der Verträge besteht nicht nur aus   EUV und begleitende
          dem Vertragstext selbst, sondern auch aus einer Reihe von      Rechtsakte
          begleitenden Rechtsakten, die auf derselben Normhierarchie-  Protokolle, Grundrechte-
          ebene stehen und die Verträge ändern oder ergänzen. Ob ein   Charta und allgemeine Rechts-
          Rechtsakt zum Primärrecht gehört, ist vorwiegend von seinem   grundsätze
          Inhalt abhängig. Hierzu gehören die Grundrechte-Charta, die
          Protokolle zu den Verträgen und die ungeschriebenen allge-
          meinen Rechtsgrundsätze und Grundrechte.
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