Page 153 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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5.1 • Rechtsquellen des EU-Rechts
Die staatlichen Organe müssen bei der Anwendung des Nationales Recht bleibt unan-
Unionsrechts selbständig darauf achten, dass sie nationales gewendet.
Recht, welches der Verordnung widerspricht, unangewendet
lassen. Dieses nationale Recht wird zwar durch die Verord-
nung nicht aufgehoben. Jedoch kann dieses entgegenstehende
nationale Recht nur noch bei rein innerstaatlichen, nicht von
den Verträgen erfassten Sachverhalten Anwendung finden,
also dort, wo die Verordnung nicht anwendbar ist. Regelt die
Verordnung einen Gegenstand abschließend, so bleibt die na-
tionale Vorschrift gänzlich unangewendet.
Im Ergebnis erzeugen Verordnungen in den Mitglied-
staaten unmittelbar Rechte und Pflichten wie ein nationales
Gesetz. Natürliche und juristische Personen müssen aus einer
Verordnung direkt Pflichten, u. U. aber auch Rechte ableiten.
Die Richtlinie ist in Art. 288 III AEUV normiert. Sie ist ein Die Richtlinie – ein legislativer
Instrument, mit dem die EU das Erfordernis eines einheitli- Rahmen
chen, harmonisierten Rechts in den Mitgliedstaaten umsetzen Umsetzung einer Richtlinie
kann. Dabei lässt die Richtlinie aber den Mitgliedstaaten einen
eigenen Regelungsspielraum, sie verpflichtet sie aber gleich-
zeitig, ihr Recht der Richtlinie anzupassen. Die Kompetenz
der EU, eine Richtlinie zu erlassen, ergibt sich jeweils aus den
speziellen Bestimmungen der Verträge. Der AEUV sieht das
Instrument der Richtlinie insbesondere immer dann vor, wenn
nur der Rahmen des nationalen Rechts vereinheitlicht wer-
den sollen, damit der Binnenmarkt besser funktioniert und
einheitlichere Lebensbedingungen in den Mitgliedstaaten ge-
schaffen werden (vgl. Art 114 und 115 AEUV).
Die Regelungsdichte von Richtlinien ist sehr unterschied-
lich. Teilweise enthalten sie eine Vollharmonisierung eines
Sachbereichs, teilweise auch nur eine Mindestharmonisierung.
Eine Mindestharmonisierung liegt vor, wenn die Mitgliedstaa-
ten über die Richtlinie hinausgehende strengere Regelungen
erlassen dürfen; bei der Vollharmonisierung muss der MS den
Inhalt der Richtlinie genau übernehmen.
Diese Unterscheidung nennt man „gestufte Verbindlich- Gestufte Verbindlichkeit
keit“. Die Richtlinie ist nicht wie die Verordnung in allen ihren überschießende Richtlinien-
Teilen, sondern nur in Bezug auf ihre Regelungsziele verbind- umsetzung
lich. Allerdings ist der Unterschied zwischen Verordnung und
Richtlinie inzwischen bisweilen verschwommen, d. h., es gibt
Richtlinien, die sehr detaillierte Regelungen enthalten. Die
überschießende Richtlinienumsetzung liegt vor, wenn ein Staat
in seiner Umsetzung weiter geht, als dies von der RL gefordert
wird, z. B. gilt der die VerbrauchsgüterkaufRL 99/44 umset-
zende § 651 BGB nicht nur für Verbrauchsgüter, sondern für
alle Werklieferungsverträge. In diesen Fällen hat der BGH ent-
schieden, dass die Richtlinienvorgaben auch für die Auslegung
der überschießenden Teile des dt. Gesetzes verbindlich sind,