Page 155 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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5.1 • Rechtsquellen des EU-Rechts
- Der Mitgliedstaat hat die (selten genutzte) Möglichkeit,
Diese Einwände greifen nicht. Dazu der Reihe nach:
- Die Berufung auf innerstaatliche Rechtsprobleme kann
bei der Union eine Fristverlängerung zu erreichen.
im Verhältnis EU-Mitgliedstaat nie greifen. Nach der in-
nerstaatlichen Kompetenzverteilung sind für die Umset-
zung von Richtlinien in Deutschland häufig die Länder
verantwortlich, die Bundesrepublik haftet unionsrecht-
lich auch dann, wenn nur ein Bundesland die betreffende
RL nicht umgesetzt hat.
Aus den Verfehlungen anderer Mitgliedstaaten können Mit-
gliedstaaten keine Einwände ableiten, weil sie nicht in einem
Gegenseitigkeitsverhältnis zur EU stehen, sondern eher in
einem Unterordnungsverhältnis. Die Mitgliedstaaten müssen
eine Richtlinie mit einem Rechtsakt umsetzen, der einen ge-
wissen Grad an Stabilität und Außenwirkung hat.
Das bedeutet, eine einfache, nur innerhalb einer Behörde
wirkende Verwaltungsvorschrift reicht nicht aus, vielmehr
muss die Richtlinie in eine Rechtsverordnung oder ein Gesetz
umgesetzt werden.
Da die Richtlinie nur einen Rahmen für die mitgliedstaat- Unmittelbare und horizontale
liche Ausgestaltung vorgibt, ist es nicht ihr Regelungsziel, Wirkung
unmittelbar Rechte und Pflichten für Einzelne zu erzeugen. Unmittelbare Wirkung
Es wäre aber denkbar, dass einzelne Richtlinienbestimmun- Wichtig: Die Voraussetzungen
gen – ab dem Verstreichen der Umsetzungsfrist der Richtli- der unmittelbaren Anwend-
nie – aufgrund ihrer Konstitution auch unmittelbar in den barkeit
Mitgliedstaaten gelten oder gar unmittelbar anwendbar sind.
Beides wird unmittelbare Wirkung von Richtlinien genannt.
Unmittelbare Anwendbarkeit bedeutet, dass eine oder einige
Richtlinienbestimmungen entsprechend den Verordnungen
direkt für Staatsorgane und Bürger verbindlich sind und dass
individuelle, subjektive Rechte daraus ableitbar sind (Ratti, Slg.
1979, 1629, van Duyn, Slg. 1974, 1337).
Unmittelbare Geltung heißt demgegenüber nur, dass
die fragliche Norm einer Richtlinie in der innerstaatlichen
Rechtsordnung ohne weiteren Umsetzungsakt gilt, es heißt
nicht zwangsläufig, dass die Norm dem Rechtsunterworfenen
auch ein subjektives Recht, ein Klagerecht, gewährt (Wär-
mekraftwerk Großkrotzenburg, Slg. 1995, I-2189). Aufgrund
der Geltung in der innerstaatlichen Rechtsordnung sind alle
staatlichen Stellen verpflichtet, die unmittelbar geltende Norm
anzuwenden.
Nach der Rechtsprechung des EuGH kann eine Richtlini-
ennorm unmittelbar anwendbar sein (Leberpfennig, Slg. 1970,
825, Becker, Slg. 1982, 53). Dafür spreche die notwendige Ef-
fektivität der Richtlinie und dass ein Mitgliedstaat nicht gleich-