Page 156 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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150 Kapitel 5 • Grundlagen des EU-Rechts
zeitig gegen eine Richtlinie verstoßen könne und sich dann
gegenüber Individuen oder anderen Rechtsträgern auf sein
gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten berufen könne.
2 Die Voraussetzungen für unmittelbare Geltung und An-
- hinreichend genaue Formulierung der Richtlinienbestim-
wendbarkeit einer RL sind:
mung, so dass sich kein Umsetzungsspielraum für den
nationalen Gesetzgeber ergibt, auch „self-executing“ ge-
nannt, also „sich-selbst-ausführend“ bzw. „anwendend“.
Ob eine Richtlinienbestimmung „self-executing“ ist, geht
5 aus ihrer Auslegung hervor, aus Wortlaut, Systematik,
- Ablauf der Umsetzungsfrist;
Sinn und Zweck;
-
keine unmittelbare Geltung von Richtlinien, die den
Bürger belasten. Die unmittelbare Geltung kann nur
stattfinden, wenn die Richtlinie den Bürger begünstigt
(Kolpinghuis Nijmegen, Slg. 1987, 3969). Allerdings ist
es möglich, dass eine Richtlinienbestimmung zu Lasten
eines Einzelnen die Auslegung nationalen Rechts beein-
flusst. Unmittelbare Anwendung und richtlinienkon-
forme Auslegung sind strikt zu trennen.
Zur unmittelbaren Anwendbarkeit einer Richtlinienbestim-
mung ist überdies erforderlich, dass sie bezweckt, dem Einzel-
2 Horizontale Wirkung von nen ein subjektives Recht zu verleihen.
Ein anderes wichtiges Thema ist die horizontale Wir-
Richtlinien kung von Richtlinien. Die horizontale Wirkung meint hier
2 die Geltung von Richtliniennormen im Verhältnis zwischen
natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts unter-
2 einander, nicht nur zwischen EU oder Mitgliedstaaten (Ho-
heitsträger) und Rechtsunterworfenen (vertikale Wirkung).
Können solche Rechtsträger sich gegenüber ihresgleichen auf
2 Richtlinienbestimmungen berufen? Der EuGH lehnt die ho-
rizontale Wirkung von Richtlinien unter Berufung auf den
2 Wortlaut des Art. 288 III AEUV ab (Marshall I, Slg. 1986,
723; Foster/British Gas, Slg. 1990, 3313; Marshall II, Slg. 1993,
2 I-4367). Folgt man dem Wortlaut, so richtet sich die Richt-
linie nur an die Mitgliedstaaten und eben nicht an Private.
Diese Rechtsprechung schränkt die durch die unmittelbare
2 Anwendbarkeit von Richtliniennormen gewonnene Effektivi-
tät des Unionsrechts wieder ein. Leider ergibt sich auch eine
2 Diskrepanz zu der Rechtsprechung des EuGH im Bereich des
Primärrechts, wo er einigen Vorschriften durchaus eine ho-
rizontale Wirkung zuerkennt (Art. 157 AEUV: Defrenne II,
2 Slg. 1976, 455; Art. 45 AEUV: Angonese, 2000, I-4139). Diese
Rechtsprechungsunterschiede sind nicht immer gut begrün-
det und lassen sich zu Recht kritisieren, allerdings hält der