Page 158 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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152  Kapitel 5  •  Grundlagen des EU-Rechts


                                  erfolgreich war, bekam er keine Lira, weil die Firma in Konkurs ging.
                                  Daraufhin verlangte Francovich Schadensersatz vom italienischen
                                  Staat, weil er seinen Lohn, wegen der in der Richtlinie vorgesehenen
   2                              Garantie, erhalten hätte, wenn die Richtlinie fristgerecht umgesetzt
                                  worden wäre.
                                  Der EuGH hat einen Anspruch auf Schadensersatz bejaht. Der An-
                                  spruch beruht laut EuGH auf dem allgemeinen System des Uni-
                                  onsrechts und den Grundsätzen des damaligen E[W]GV.
                                  Subjektive Rechte, also Rechte des einzelnen entstünden nicht
                                  nur, wenn der E[W]GV es ausdrücklich vorschreibe, sondern auch,
   5                              wenn der Vertrag den Organen, und hier den Mitgliedstaaten, ein-
                                  deutige Pflichten auferlegt. Die Wirksamkeit der Richtlinie, die den
                                  Einzelnen schützen wolle, sei aber sehr eingeschränkt, wenn der
                                  Einzelne, bei Verletzung der Umsetzungsfrist, nicht auch Scha-
                                  densersatz erlangen könnte.
                                  Die Höhe des Anspruchs richtet sich nach nationalem Staatshaf-
                                  tungsrecht; das ist im Fall der Bundesrepublik der § 839 BGB in
                                  Verbindung mit Art. 34 GG. Allerdings ist ein Schadensersatz-
                                  anspruch  bei  legislativer  Unterlassung  im  deutschen  Verfas-
                                  sungsrecht grundsätzlich nicht anerkannt, so dass das deutsche
                                  Staatshaftungsrecht auf unionsrechtliche Ansprüche nur teilweise
                                  anwendbar ist.

          Voraussetzungen des Staats-  Der Staatshaftungsanspruch ist ein eigener, vom EuGH ent-
   2      haftungsanspruchs       wickelter unionsrechtlicher Anspruch, welcher im Rahmen
                                  des nationalen Staatshaftungsrechts geltend gemacht werden
          Zusammenspiel von EU-Recht
          und deutschem Recht     muss. Der deutsche Staatshaftungsanspruch, muss im Sinne
   2                              der Vorgaben des EU-Rechts ausgelegt werden (s. a. das auf die
                                  Brasserie du Pêcheur-Vorabentscheidung folgende Endurteil
                                  des BGHZ 134, 30):
   2                              -
          Alle Akte eines MS werden     Die Verletzung des Unionsrechts durch einen MS. Ein
   2      erfasst.                   Mitgliedstaat haftet für alle Akte oder Unterlassungen
                                     seiner Organe (von allen drei Gewalten) einschließlich
                                     der nationalen Legislative und hoheitliche Äußerungen
   2                                 von Beamten (AGM-COS.MET, Slg. 2007, I-2826). Ein
                                     Ausschluss von Handlungen des Gesetzgebers kommt
   2                                 angesichts der Bedeutung der einheitlichen Anwendung
                                     des Unionsrechts nicht in Betracht. Die Mitgliedstaaten
                                     haften deshalb unionsrechtlich auch für normatives
   2                                 Unrecht. Das Richterprivileg des § 839 II BGB und der
                                     Grundsatz der Rechtskraft stehen einer Haftung der Judi-
   2                                 kative für letztinstanzliche Urteile wegen des Grundsat-
                                     zes der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts nicht
                                     entgegen. Auch die richterliche Unabhängigkeit wird
   2                                 nicht verletzt, da es nicht um die persönliche Haftung
                                     des Richters geht, sondern um die Haftung des Staates
                                     (Köbler, NJW 2003, 3539).
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