Page 201 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          6.5  •  Die Freizügigkeit


          in dem fremden Mitgliedstaat hat. Der Ehegatte des Arbeit-
          nehmers sowie Kinder, die noch nicht 21 Jahre alt sind oder
          die vom Arbeitnehmer Unterhalt erhalten, dürfen selbst eine
          abhängige, nichtselbständige Tätigkeit aufnehmen, Art. 45 III
          AEUV und VO 492/2011 (für Tätigkeit neben dem Studium
          Lair, Slg. 1988, 3161).
            Die Kinder des Arbeitnehmers haben ein Recht auf Bil-   Recht auf Bildung
          dung. Das bedeutet konkret, sie haben neben ihrem Aufent-
          haltsrecht ein Recht auf Zugang zu einer allgemeinbildenden
          Schule oder sonstigen Institution, ein Recht auf Zugang zur Be-
          rufsausbildung (Lehre/Studium) gemäß Art. 10 VO 492/2011
          (Hochschule: Blaizot, Slg. 1988, 379), ein Recht auf gleiche
          Ausbildungsbedingungen (Studiengebühren:  Gravier, Slg.
          1985, 593) und ein Recht auf staatliche Ausbildungsförderung
          (Lair, s. o.) und Hochschulstipendien, jeweils unter den glei-
          chen Voraussetzungen wie Inländer.
            Die Freizügigkeit kann nur für die in Art. 45 III AEUV   Einschränkungen der Frei-
          genannten Bereiche eingeschränkt werden, nicht für die in       zügigkeit
          Art. 45 II AEUV. Hiernach können Maßnahmen, die in die   Direkte Diskriminierung:
          Freiheit eingreifen, gerechtfertigt sein, wenn sie aus Gründen   Art. 45 III AEUV
          der öffentlichen Ordnung (Adoui, Slg. 1982, 1665), Sicher-
          heit (Bonsignore, Slg. 1975, 297) oder Gesundheit (Art. 29
          RL 2004/38/EG) erlassen sind. Diese Begriffe sind unions-
          rechtlich zu verstehen und durch die Richtlinie 2004/38/EG
          und die Rechtsprechung des EuGH konkretisiert worden. Als
          Ausnahmebestimmungen sind sie eng auszulegen.
            In Fällen des Art. 45 II AEUV ist eine Rechtfertigung   Art. 45 II AEUV: nur bei
          nur bei Vorliegen einer indirekten Diskriminierung möglich.   indirekter Diskriminierung
          Darunter sind Vorschriften zu verstehen, die vordergründig    anwendbar.
          auf neutrale Voraussetzungen wie den Wohnort abstellt, in
          der praktischen Anwendung aber hauptsächlich Ausländer
          betrifft. Diese Regelungen unterfallen auch ohne ausdrückli-
          che Nennung im Wortlaut des Art. 45 II AEUV dem Schutz-
          bereich (de Groot, Slg. 2002, I-11819) und können durch die
          Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerecht-
          fertigt werden (Bosman, Slg. 1995 I-4921). Ein Eingriff muss
          durch  besondere,  objektive,  von der  Staatsangehörigkeit
          der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen
          gerechtfertigt sein und in einem angemessenen Verhältnis
          zum beeinträchtigten Ziel stehen (s. C-269/07, Riester-Rente,
          Slg. 2009, I-7811 Rn. 39). Die Situation und die Prüfung ist
          somit der der Cassis-Rechtsprechung bei Art. 34 AEUV ver-
          gleichbar.
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