Page 204 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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198 Kapitel 6 • Materielles Recht und Rechtsschutz in der EU
der selbständigen Erwerbstätigkeit wird z. B. erfüllt von Ärz-
ten, Apothekern und Handwerkern. Aber auch private Lehr-
anstalten sind Unternehmen, die in den Genuss der Freiheit
2 kommen.
Verhältnis Niederlassungs- zur Problematisch ist jedoch die Abgrenzung der Niederlas-
Dienstleistungsfreiheit sungsfreiheit zu der Dienstleistungs- und der Kapitalverkehrs-
freiheit. Gegenüber der Dienstleistungsfreiheit unterscheidet
sich die Niederlassung durch die Dauer der in einem anderen
Mitgliedstaat ausgeübten Tätigkeit. Die Dienstleistung soll nur
vorübergehend in einem anderen Staat stattfinden, die Nie-
derlassung ist demgegenüber stetig. Bei nur kurzer Dauer ist
darauf abzustellen, wo der Schwerpunkt der wirtschaftlichen
6 Tätigkeit liegt, wenn dies im Gastland ist, ist die Niederlas-
sungsfreiheit anzuwenden.
Verhältnis Niederlassungs- zur Hinsichtlich des Kapitalverkehrs stellt die Verweisung des
Kapitalverkehrsfreiheit Art. 49 II AEUV auf die einschlägigen Vorschriften der Kapi-
talverkehrsfreiheit (Art. 63 ff AEUV) klar, dass die zur Errich-
tung einer Niederlassung in einem fremden Staat notwendigen
Gelder dieser Freiheit unterliegen und nicht dem Recht zur
Niederlassung. Insoweit treten folglich keine Abgrenzungs-
probleme auf.
Persönlicher Schutzbereich Der persönliche Schutzbereich umfasst natürliche und ju-
Natürliche und juristische ristische Personen gleichermaßen, wie sich aus Art. 49 I AEUV
Personen (Staatsangehörige eines Mitgliedstaates) und Art. 54 AEUV
2 (Gesellschaften) ergibt. Juristische Personen müssen jedoch
ihren Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlas-
sung in einem der Mitgliedstaaten der EU haben. Diese sehr
2 weite Definition entscheidet die in den Gesellschaftsrechten
der Mitgliedstaaten bestehenden unterschiedlichen Auf-
2 fassungen nicht, wann eine Gesellschaft ihren Sitz auf dem
Gebiet dieses Mitgliedstaates hat, und lässt alle nationalen
Lösungen unberührt. Insbesondere muss der Sitz einer Ge-
2 sellschaft innerhalb der EU nicht effektiv sein, d. h. nicht das
Zentrum ihrer wirtschaftlichen Aktionen darstellen. Eine
2 Briefkastenfirma genügt für die Errichtung einer Gesellschaft.
Das ist wichtig, weil Drittlandsunternehmen und Staatsange-
2 hörige dritter Staaten sich nicht auf die Niederlassungsfreiheit
berufen können.
Die juristischen Personen müssen nach den Rechtsvor-
2 schriften eines MS gegründet worden sein. Liegt eine rechtlich
ordnungsgemäße Gründung vor, ist der persönliche Schutz-
2 bereich von Art. 49 AEUV einschlägig. Art. 49 gilt mithin für
primäre (Verlagerung des Gesellschaftssitzes, gleichgültig ob
Zu- [Überseering, Slg. 2002, I-9919] oder Wegzug [Daily Mail,
2 Slg. 1988, 5483]), als auch für sekundäre Niederlassungen (Er-
richtung einer Zweigniederlassung, Centros, Slg. 1999, I-1459).
Sogar die offensichtliche Umgehung gesellschaftsrechtlicher