Page 208 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
P. 208

202  Kapitel 6  •  Materielles Recht und Rechtsschutz in der EU


                                  torium. Hierzu gehört das Ziel eine qualitativ hochwertige,
                                  ausgewogene und für alle zugängliche medizinische Versor-
                                  gung aufrechtzuerhalten (Müller-Fauré, Slg. 2003, I-4509), s. a.
   2                              Art. 168 AEV.
                                     Bei der Frage, ob eine Ausländerdiskriminierung zulässig
                                  ist, muss man ferner abwägen zwischen der Bedeutung der
                                  Grundfreiheit und der Bedeutung des innerstaatlichen Inter-
                                  esses. Dies ergibt sich aus der Formulierung „gerechtfertigt“.
                                  Dabei ist  letztlich  zu  untersuchen,  ob  ein  Vorbehalt  nach
                                  Art. 52 AEUV verhältnismäßig im Sinne des Art. 5 IV AEUV
                                  ist.
          Sekundärrechtliche Konkreti-  Weitere Konkretisierungen der angesprochenen Tatbe-
   6      sierung                 standsmerkmale finden sich sekundärrechtlich in der RL
                                  2004/38/EG, die  für  die  Niederlassungs-  als  auch für  die
                                  Dienstleistungsfreiheit gilt.
          Versteckte Diskriminierungen  Die versteckten Diskriminierungen werden häufig auch
          Beschränkungsverbot     Beschränkungen genannt. Verboten sind auch auf In- und
                                  Ausländer unterschiedslos anwendbare nationale Maßnah-
                                  men, wenn diese geeignet sind, die Ausübung der Grundfrei-
                                  heit zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu
                                  machen (Gebhard, 1995, Slg. I-4165). Der Gleichlauf mit der
                                  Cassis-Rechtsprechung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit
                                  ist auch hier offensichtlich. Nicht übertragen wurden bisher
                                  vom EuGH die in der Rechtssache Keck entwickelten Grund-
   2                              sätze, hierfür besteht hinsichtlich der unterschiedlichen Ausge-
                                  staltung zwischen Warenverkehrs- und Niederlassungsfreiheit
                                  wohl auch keine Veranlassung.
   2      Zwingender Grund des Allge-  Das eine versteckte Diskriminierung darstellende nationale
          meinwohls               Gesetz ist gerechtfertigt, wenn es sich auf einen zwingenden
   2                              Grund des Allgemeinwohls berufen kann und verhältnismäßig
                                  ist. Zwingende Gründe sind: Die Wirksamkeit der nationalen
                                  Steueraufsicht, (bei landwirtschaftlichen Betrieben:) die Ver-
   2                              einigung in einer Hand von Grundbesitz und Bodenbewirt-
                                  schaftung, der Schutz des geistigen Eigentums, Schutz der Ar-
   2                              beitnehmer (und der Verbraucher), Erhaltung des nationales
                                  Erbes usw. (s. Gouda, Slg. 1991, I-4007). Bei der Beurteilung
   2                              sind auch die für offenen Diskriminierungen geltenden Recht-
                                  fertigungsgründe der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und
                                  Gesundheit heranzuziehen (Mac Quen, Slg. 2001, I-837). Das
   2                              deutsche Fremdbesitzverbot für Apotheken wurde gerecht-
                                  fertigt, da den MS die Kompetenz zur Regelung des Gesund-
   2                              heitssektors (vgl. Art. 168 VII AEUV) und eine Einschätzungs-
                                  prärogative zukomme (Apothekerkammer Saarland, Slg. 2009,
                                  I- 4171 Rn. 35, 40).
   2      Die weitere Harmonisierung  Die weitere Harmonisierung der Niederlassungsmöglich-
                                  keit in den Mitgliedstaaten erfolgt nach Art. 53 AEUV.
   203   204   205   206   207   208   209   210   211   212   213