Page 209 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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6.5 • Die Freizügigkeit
Art. 53 AEU – Koordinierung
des Berufzulassungsrechts
(1) Um die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten
zu erleichtern, erlassen das Europäische Parlament und der Rat
gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Richtlinien für
die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse
und sonstigen Befähigungsnachweise sowie für die Koordinie-
rung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaa-
ten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten.
(2) Die schrittweise Aufhebung der Beschränkungen für die
ärztlichen, arztähnlichen und pharmazeutischen Berufe setzt die
Koordinierung der Bedingungen für die Ausübung dieser Berufe
in den einzelnen Mitgliedstaaten voraus.
Zweck der gegenseitigen Anerkennung ist, dass der Befähi- Gegenseitige Anerkennung
gungsnachweis (etwa eine Urkunde über das Staatsexamen)
überall wie ein inländisches Zeugnis behandelt wird. Absatz 1
von Art. 53 AEUV ist die Rechtsgrundlage für den Erlass
von Sekundärrechtsakten. Die Regelung bezieht sich nur auf
den Richtlinienerlass für die gegenseitige Anerkennung und
schreibt dafür das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach
Art. 294 AEUV vor. Die Hochschuldiplomanerkennungs-
richtlinie, die Richtlinie über die Anerkennung sonstiger Be-
fähigungsnachweise und die speziell berufsbezogenen Richt-
linien sind auf der Grundlage der Vorgängervorschriften des
Art. 53 AEUV erlassen worden. Für Rechtsanwälte gilt die RL
98/5/EG (ABl. 1998L 77).
Zur Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in- Europäische Gesellschafts-
nerhalb des Binnenmarktes wurden seitens der Union über- formen
staatliche Gesellschaftsformen geschaffen. Zum einen gibt es Europäische Aktiengesellschaft
seit dem 8. Oktober 2004 die Europäische Aktiengesellschaft Arbeitnehmermitbestimmung
(Societas Europeae [SE], VO 2157/2001, ABl. 2001L 294/1).
Die Europäische Aktiengesellschaft ist eine rechtsfähige ju-
ristische Person mit eigenem, durch Aktien anteilig auf die
Anteilseigner verteiltem, Vermögen. Die Führung der SE
kann entweder zwei- oder eingliedrig erfolgen. Zweigliedrig
bedeutet, dass es einen Vorstand und einen Aufsichtsrat gibt.
Dies entspricht dem deutschen System. Im eingliedrigen Sys-
tem, das dem des Vereinigten Königreichs entspricht, existiert
nur ein Leitungsgremium, das board of directors. Die VO
2157/2001 verweist in vielen Ausgestaltungsfragen auf das
nationale Recht, in denen die betreffende SE ihren Sitz hat
(Art. 9 I VO). Laut Art. 2 VO kann die SE auf verschiedenen
Wegen gegründet werden, denen gemeinsam ist, dass nur be-
reits bestehende Unternehmen ihre Unternehmensstruktur
in eine SE umwandeln können. Dies geschieht durch Ver-