Page 212 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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206 Kapitel 6 • Materielles Recht und Rechtsschutz in der EU
die Vorschriften über die Verkehrspolitik (Art. 90 ff. AEUV),
für die Liberalisierung der mit dem Kapitalverkehr verbun-
denen Dienstleistungen des Banken- und Versicherungsge-
2 werbes gilt nach Art. 58 II AEUV die Kapitalverkehrsfreiheit
(Art. 63 ff. AEUV). Im Verhältnis zu den anderen Grundfrei-
heiten sind die Art. 56 ff. AEUV subsidiär und mithin eine
Auffanggrundfreiheit. Die anderen Grundfreiheiten gehen
der Anwendung der Dienstleistungsgrundfreiheit vor. Eine
Subsidiarität gegenüber der Kapitalverkehrsfreiheit liegt je-
doch dann nicht vor, wenn eine nationale Bestimmung die
Ausübung beider Freiheiten behindern kann (Fidium Finanz,
Slg. 2006, I-9575).
Die Dienstleistungsfreiheit ist unmittelbar anwendbar, die
6 Unmittelbare Anwendbarkeit Mitgliedstaaten sind direkt zur Anwendung verpflichtet. Be-
günstigte der Freiheit sind natürliche und juristische Personen,
die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates bzw. ihren Sitz
in einem Mitgliedstaat haben und in einem anderen Mitglied-
staat eine Dienstleistung erbringen wollen.
Horizontale Geltung Wie die Arbeitnehmer- und Niederlassungsfreiheit wirkt
auch die Dienstleistungsfreiheit horizontal, d. h., sie gilt auch
zwischen natürlichen Personen und nicht nur vertikal im Ver-
hältnis Staat – Bürger. Beeinträchtigungen geschehen insbe-
sondere durch kollektive Regelungen, die in diesem Bereich
vereinbart werden.
Seit dem Inkrafttreten des GATS (Allgemeines Überein-
2 kommen über den Handel mit Dienstleistungen – ein inter-
nationaler Vertrag, der einen möglichst einschränkungslosen
2 Welthandel für Dienstleistungen ermöglichen soll, vergleich-
bar dem GATT für den Warenhandel) für die EU kann diese
2 mit dritten Staaten Abkommen über den Zugang von Unter-
nehmen zum Binnenmarkt schließen. Diese Unternehmen
genießen dann auch die Dienstleistungsfreiheit.
2
Art. 57 AEUV – Dienstleistungsbegriff
2 (1) Dienstleistungen im Sinne der Verträge sind Leistungen, die
in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den
Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über
2 die Freizügigkeit der Personen unterliegen.
(2) Als Dienstleistungen gelten insbesondere:
2 a) gewerbliche Tätigkeiten,
b) kaufmännische Tätigkeiten,
c) handwerkliche Tätigkeiten,
2 d) freiberufliche Tätigkeiten.
(3) Unbeschadet des Kapitels über die Niederlassungsfreiheit
kann der Leistende zwecks Erbringung seiner Leistungen seine
2 Tätigkeit vorübergehend in dem Staat ausüben, in dem die Leis-
tung erbracht wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welche
dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt.