Page 216 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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210  Kapitel 6  •  Materielles Recht und Rechtsschutz in der EU


                                     Alle einschränkenden Maßnahmen unterliegen überdies
                                  zusätzlich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Art.  5  IV
                                  EUV.
   2                                 Beispiel: Der Dienstleistungsverkehr für Rechtsanwälte
                                  wurde 1977 mit einer Richtlinie von der EWG (RL 77/249/
                                  EWG, ABl. 1977, L 78/17) geregelt. Darin war vorgesehen, dass
                                  die Ausführung von rechtsanwaltlichen Dienstleistungen eines
                                  ausländischen Rechtsanwalts in einem Mitgliedstaat von der
                                  Zusammenarbeit mit einem bei dem zuständigen nationalen
                                  Gericht zugelassenen inländischen Rechtsanwalt abhängig ge-
                                  macht werden durfte.
                                     Das deutsche Ausführungsgesetz zur Richtlinie sah vor,
   6                              dass dies auch in den Fällen gelten sollte, in denen nach deut-
                                  schem Recht gar kein Anwaltszwang besteht, wie beispiels-
                                  weise grundsätzlich vor dem Amtsgericht in Zivilsachen. Die
                                  Kommission war der Meinung, diese Regelung stelle keine
                                  ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie dar. Der von
                                  der Kommission angerufene EuGH stellte einen Verstoß ge-
                                  gen das Diskriminierungsverbot fest, weil für die Regelung
                                  kein entsprechend starkes Allgemeininteresse bestand (Ab-
                                  wägung!) und die Regelung nicht für alle inländisch arbei-
                                  tenden Rechtsanwälte galt, d. h. ausländische Rechtsanwälte
                                  durch sie benachteiligt wurden (Gouvernantenklausel, Slg.
                                  1988, 1123).
                                     In den Bereich der Dienstleistungsfreiheit gehört auch die
   2      Öffentliches Antragswesen  Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens. Das sind die
                                  Aufträge, die die öffentliche Hand zur Erfüllung bestimmter
   2                              Aufgaben übergibt. Das geschieht in der Regel durch Aus-
                                  schreibungen. EU-weit kommen dabei immense Summen zu-
   2                              sammen, die sich jährlich um ca. 1 Billion EURO bewegen. Um
                                  den freien Markt und den freien Zugang aller Anbieter (z. B.
                                  Bauunternehmer) zu gewährleisten, hat die EU diesen Sektor
   2                              durch Richtlinien harmonisiert und EU-weite Standards ge-
                                  schaffen. Das bedeutet beispielsweise, dass ein Bauvorhaben
   2                              einer öffentlichen Stelle, sofern es einen gewissen Geldbetrag
                                  übersteigt, unionsweit ausgeschrieben werden muss, was in
   2                              einem Zusatz zum Amtsblatt der EU geschieht.


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