Page 215 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
P. 215
6
209
6.6 • Die Dienstleistungsfreiheit
Der Tatbestand der Freiheit wird durch die Regelung des Tatbestandsreduktion
Art. 62 i. V. m. Art. 51 AEUV reduziert. Auf Tätigkeiten, die in
einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung
öffentlicher Gewalt verbunden sind, wird die Dienstleistungs-
freiheit nicht angewandt. Trotz des von Art. 45 AEUV (▶ Ab-
schn. 6.5.1) verschiedenen Wortlautes sind die Vorschriften
gleich zu verstehen.
Im Rahmen der versteckten Diskriminierung wird die Problem: Übertragung der
Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung der Warenver- Keck-Rechtsprechung
kehrsfreiheit (▶ Abschn. 6.4.3) auf die Dienstleistungsfreiheit
diskutiert. Der EuGH hat sich bisher noch nicht ausdrück-
lich dazu geäußert (s. Alpine Investment, Slg. 1995 I-1141; die
MS hatten die Frage ausdrücklich aufgeworfen). Gegen die
Übertragbarkeit spricht, dass die Personenbezogenheit des
Art. 56 AEUV nach anderen Abgrenzungskriterien verlangt
als die Warenbezogenheit des Art. 34 AEUV, somit ist von der
Nichtvergleichbarkeit der Warenverkehrs- und der (personen-
bezogenen) Dienstleistungsfreiheit auszugehen.
Diskriminierende Maßnahmen können nur nach Art. 62 Einschränkungen der Dienst-
i. V. m. 52 AEUV gerechtfertigt werden, wobei für die Recht- leistungsfreiheit
fertigungsgründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder
Gesundheit (Art. 52 AEUV) die gleichen Grundsätze gelten
wie bei den Ausnahmen der Niederlassungsfreiheit ▶ Ab-
schn. 6.5.2.
Für nichtdiskriminierende Maßnahmen gelten die Recht- Zwingende Gründe des Allge-
fertigungsgründe der zwingenden Gründe des Allgemeinwohls meinwohls
(nicht abschließende Aufzählung in: Gouda, Slg. 1991, I-4007),
deren Umfang sich nicht endgültig festlegen lässt. Wichtig ist
hierbei, dass die schützenswerten Allgemeininteressen, auf die
sich ein Staat beruft, bereits durch Rechtsvorschriften in dem
Herkunftsland des Dienstleistungserbringers genügend gesi-
chert sein können (van Wesemael, Slg. 1979, 35). In einem sol-
chen Fall muss der Staat diese Regelungen achten und darf sie
nicht durch eigene verschärfen (Säger, Slg. 1991, I-4221). Sol-
che schärferen Regelungen waren z. B. im Versicherungsrecht
in der Bundesrepublik üblich. Mittlerweile wurde auf diesem
Gebiet viel durch Richtlinien vereinheitlicht. Rein wirtschaft-
liche Gründe, wie das Interesse an der Wahrung des Arbeits-
friedens (SETTG, Slg. 1997, I-3091) oder die Kontingentierung
von Bootsliegeplätzen (Ciola, Slg. 1999, I-2517) stellen kein
zwingendes Interesse des Allgemeinwohls dar. Gleiches gilt für
Gründe rein verwaltungstechnischer Art, z. B. die Vereinfa-
chung der Versicherungsaufsicht (Versicherungen, Slg. 1986,
3755). Der Verbraucherschutz und der Gesundheitsschutz als
Querschnittsmaterien stellen ebenfalls ein schützenswertes
Allgemeininteresse dar, bei dessen Schutz den MS ein Ermes-
sensspielraum verbleibt.