Page 25 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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1.5 • Ein Übungsfall
schlag aus und legt diesen dem Rat vor. Das Parlament muss
dem Beschluss zustimmen.
1.5 Ein Übungsfall
Ob die Theorie der juristischen Subsumtion verstanden wurde,
zeigt erst die Anwendung an einem praktischen Fall. Das Be-
greifen der reinen Technik macht noch nicht den Meister. Erst
wenn man auch bei der Lösung eines bisher unbekannten Fal-
les mit dem Erlernten umgehen kann, wurde das eigentliche
Ziel erreicht. Nun aber ans Werk. Folgender Fall soll bearbeitet
werden:
Die Apothekerin M betreibt eine Apotheke in Schwäbisch-Hall. Sie
möchte auf der Straße vor ihrer Apotheke große Werbeschilder für
die Sonnenkosmetik „Schoko-Schnell“ aufstellen. M fragt bei der
Landesapothekerkammer an, ob dies denn zulässig sei. Sie habe
von Freunden gehört, es könne damit Schwierigkeiten geben.
Die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg ist eine sog.
Körperschaft des öffentlichen Rechts, also eine mit begrenzten
staatlichen Befugnissen ausgestattete Organisation. Eine von der
Apothekerkammer erlassene Standesregel (§ 10 Nr. 15 Berufsord-
nung) sieht vor, dass Apotheker und Apothekerinnen, die ihren
Beruf in B.-W. ausüben, außerhalb ihrer Apotheke keinerlei Wer-
bung für apothekenübliche Waren, die sie zum Verkauf anbieten,
machen dürfen. Apothekenübliche Waren sind solche, die neben
den Arzneimitteln verkauft werden, wie etwa Zahnbürsten, Kos-
metika oder Vitaminbonbons.
Der zuständige Mitarbeiter der Kammer teilt M mit, ihr Vorhaben Eine Standesregel der Lan-
sei unzulässig wegen § 10 Nr. 15 der Berufsordnung für Apotheker. desapothekerkammer als
Daraufhin wendet M sich an eine Rechtsanwältin. Diese meint, der Verstoß gegen das Unions-
§ 10 Nr. 15 verstoße gegen das Europäische Gemeinschaftsrecht. recht?
Wie ist die Rechtslage?
Zur Information: Dieser Sachverhalt ist eng an den sog. Hüner-
mund-Fall (Slg. 1993 I-6787) des EuGH angelehnt.
Jetzt gilt es, systematisch vorzugehen und ganz ruhig das gespei- Das Hünermund-Urteil
cherte Lösungsprogramm durchzuziehen. beleuchtet einen Ausschnitt
1. Schritt: Den Sachverhalt noch einmal lesen und sich vergewis- der Problematik der Warenver-
sern, dass man alles aufgenommen hat. Dann die Frage zur Bearbei- kehrsfreiheit, Art. 34, 36 AEUV.
tung genau anschauen. Nicht mehr und nicht weniger als das, was
gefragt ist, prüfen! Hier ist ausschließlich zu untersuchen, ob die Sachverhalt und Fallfrage
Berufsregelung gegen das Recht der Europäischen Union verstößt. erfassen
2. Schritt: Welche Normen des Gemeinschaftsrechts könnten ein- Normensuche: Wo könnte
schlägig sein? In Frage kommen der AEUV und der Euratom und sich eine anwendbare Norm
das Sekundärrecht der Union, also Recht, das die Union aufgrund finden?
einer Kompetenz aus den Verträgen erlassen hat.