Page 24 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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16   Kapitel 1  •  Einführung


                                     Damit ist die eigentliche Subsumtion beendet. Unser Tat-
   1                              bestand ist erfüllt. Auch in unserem theoretischen Beispiel,
                                  dem Art. 352 AEUV, gibt es keine ungeschriebenen Tatbe-
   2                              standsmerkmale.
          Die Rechtsfolge wird einge-  Damit ist aber immer noch nicht klar, was die rechtliche
          leitet mit Worten wie:  Folge ist. Die ganze Subsumtion soll ja letztendlich dazu führen,
          – Hat                   dass man eine Rechtsfolge für einen Lebenssachverhalt erhält.
          – Soll
          – Muss
          – Kann                  1.4.5  Rechtsfolge
          – Darf
          – Ist                   In Normen muss man die Rechtsfolge erst suchen. Normaler-
                                  weise wird die Rechtsfolge mit Worten wie „hat zu“, „soll“, „muss“,
                                  „kann“ oder „darf“ eingeleitet. Damit wird eröffnet, welche recht-
                                  lichen Konsequenzen die Erfüllung des Tatbestandes hat.
                                     Bei Art. 1 ZP 6 EMRK ist es nicht ganz einfach, die Rechts-
                                  folge zu erkennen. Dort steht nur, dass ein Staat keine Todes-
                                  strafe verhängen oder vollstrecken darf, nicht aber, was dem
                                  Staat passiert, wenn er es trotzdem tut. Das ist auch nicht nötig.
                                  Art. 1 ZP 6 enthält trotzdem eine Rechtsfolge: Der Staat Dikta-
                                  toria hat gegen die EMRK und das 6. ZP verstoßen. Dies allein
                                  ist die Rechtsfolge.
                                     Greifen wir nun noch einmal Art. 352 AEUV auf, die so
                                  genannte „Kompetenzergänzungsklausel“. Wenn die Kompe-
   2                              tenzen der Union an einer Stelle lückenhaft sind, aber das Tä-
                                  tigwerden der Union sinnvoll erscheint, greift möglicherweise
                                  Art. 352 AEUV.
   2                                 Suchen wir also seine Rechtsfolge. Nach dem sprachlichen
                                  Aufbau des Art. 352 AEUV fängt die Rechtsfolge bei „..., so
   2                              erlässt der Rat …“ an. Mit dem Wort „so“ wird die Konsequenz
                                  der Tatbestandserfüllung angekündigt.
                                     Was ist aber nun die Rechtsfolge? Sie ist: Der Rat erlässt ein-
   2                              stimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Zustimmung
                                  des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften.
   2      Auch die Elemente der   -  Die Elemente der Rechtsfolge des Art. 352 AEUV:
          Rechtsfolge muss man sauber   -   der Rat
                                  -
   2      auseinanderhalten.      -   erlässt einstimmig
                                      auf Vorschlag der Kommission
   2                              -   und nach Zustimmung des Parlaments
                                      die geeigneten Vorschriften.
   2                              Diese Rechtsfolge kurz erläutert: Der Rat ist der Minister-
                                  rat der Europäischen Union, „Rat der Union“ genannt. Ein-
                                  stimmigkeit bedeutet nach Art. 238 IV AEUV, dass von den
   2                              28 Ratsmitgliedern keines gegen eine neue geeignete Vorschrift
                                  stimmt. Die Enthaltung schadet dem Zustandekommen des
                                  Beschlusses nicht. Die EU-Kommission arbeitet einen Vor-
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