Page 28 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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20 Kapitel 1 • Einführung
1 Die Dassonville-Formel des Nach der Auslegung des EuGH sind Maßnahmen gleicher Wir-
kung:
EuGH gilt seit dem Keck-
-
Urteil (▶ Abschn. 6.4.3) - Solche staatlichen Maßnahmen,
2 eingeschränkt nur noch für - die geeignet sind
produktbezogene Regelungen; - den innergemeinschaftlichen Handel mit Waren
vertriebsbezogene staatliche - unmittelbar oder mittelbar,
Maßnahmen fallen nicht mehr - tatsächlich oder potentiell,
zu behindern.
unter Dassonville. Diese sehr weite Definition hat der Europäische Gerichtshof
(EuGH) zuerst im Fall Dassonville verwendet, deshalb heißt sie
„Dassonville-Formel“ (Slg. 1974, 837).
Was bedeutet das nun für unseren Fall? Die Maßnahme, um die es
hier geht, ist die Norm der Berufsordnung für Apotheker. Die Norm
wurde von der Apothekerkammer erlassen. Diese Kammer ist eine
Körperschaft des öffentlichen Rechts, der alle in Baden-Württem-
berg niedergelassenen Apotheker zwangsläufig angehören. Alle
geltenden Standesregelungen, wie auch die Berufsordnung, er-
lässt die Kammer. Daher liegt im Erlass der Normen der Berufsord-
nung eine staatliche Maßnahme im Sinne des Art. 34 AEUV.
Zu untersuchen ist nun, ob die Maßnahme die gleiche Wirkung
wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen hat. Durch das
Werbeverbot für apothekenübliche Waren wäre es theoretisch
möglich, dass ausländische Warenproduzenten davon abgehal-
ten werden, ihre Produkte in baden-württembergischen Apothe-
2 ken anzubieten, oder dass sie wegen des Verbots eine geringere
Menge ihrer Produkte absetzen können.
Das Werbeverbot ist aber trotzdem keine Handelsbeschränkung
2 im Sinne des Art. 34 AEUV. Die Argumente dafür kann man sich
alleine erarbeiten, oder man kann sich auch ganz einfach an den
2 EuGH anlehnen:
Das Werbeverbot hat zum einen nicht den Zweck, den innerge-
2 meinschaftlichen Handel zu beschränken. Zum anderen, und das
ist wichtiger, handelt es sich bei dem Verbot nur um eine Rege-
lung der Verkaufsmodalität, es liegt kein Verkaufsverbot vor.
2 Das Verbot betrifft rechtlich und tatsächlich unterschiedslos aus-
und inländische Güter. Die Verkaufsmöglichkeit besteht für aus-
2 ländische Waren. Es handelt sich aber um eine vertriebsbezogene
Regelung.
Diese Einschränkung des Art. 34 AEUV und damit auch der Das-
2 sonville-Formel hat der EuGH im Urteil Keck, Slg. 1993-I, 6097,
vorgenommen.
2 Somit kann man als Ergebnis dieses Prüfungsschrittes festhalten,
dass der Fall der Apothekerin M nicht unter den Art. 34 AEUV fällt.
2 Nach alldem ergibt sich die Schlussfolgerung, dass Art. 34 AEUV
hier nicht greift und daher auch keine Rechtsfolge anordnet.
Lediglich hypothetisch: Eine solche Rechtsfolge wäre etwa die
Erklärung, dass das Verbots nicht mit dem Art. 34 AEUV vereinbar