Page 85 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          4.2  •  Zuständigkeiten der Union


          einem schonenden Ausgleich gebracht werden müssen. Wich-
          tig ist auch Abs. 6 der Vorschrift, welcher bestimmt, dass die
          Ziele mit geeigneten Mitteln innerhalb der Zuständigkeiten
          der Union verfolgt werden sollen, die Union also nur mit dem
          Instrumentarium tätig werden kann, welches ihr von den Mit-
          gliedstaaten zur Verfügung gestellt wurde.


          4.2   Zuständigkeiten der Union


          Die grundsätzlichen Vorschriften hinsichtlich der Verteilung   Keine generelle Kompetenz-
          und Ausübung der Zuständigkeiten der EU sind in Art. 4 und 5   übertragung
          EUV niedergelegt. Gemäß Art. 4 I EUV verbleiben alle nicht
          ausdrücklich der Union übertragenen Zuständigkeiten bei den
          Mitgliedstaaten. Dies wird durch den Grundsatz der begrenz-
          ten Einzelermächtigung, Art. 5 I EUV, bekräftigt. Durch ihre
          Kompetenzen erlangt die EU rechtlichen Handlungsspielraum
          und kann aufgrund der Verträge (dem Primärrecht) abgelei-
          tetes Sekundärrecht in Form von Verordnungen und Richtli-
          nien (vgl. Art. 288 AEUV) erlassen. Zu beachten ist Art. 4 II
          EUV, welcher die Kompetenzausübung für die Union auf den
          dort genannten Gebieten ausschließt. Umstritten ist, was un-
          ter „nationaler Identität“ der Mitgliedstaaten zu verstehen ist.
          Dies ist unter Berücksichtigung der jeweiligen grundlegenden
          nationalen politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zu
          beantworten, wozu das BVerfG insbesondere Art. 79 III GG
          zählt (BVerfGE 123, 267).
            Grundlage des Kompetenzsystems der Union ist der   Grundsatz der begrenzten
          „Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung“, Art. 5 I EUV.   Einzelermächtigung
          Dieses Strukturprinzip bedeutet, dass der EUV nur spezifische
          Ermächtigungen und keine generelle Kompetenzübertragung
          kennt. Zunächst einmal fällt nur das, was in den Verträgen
          an Kompetenzen ausdrücklich übertragen wurde, in die EU-
          Zuständigkeit, alle anderen Sachgebiete verbleiben in der Zu-
          ständigkeit der MS, Art. 5 II 2 EUV. Mithin kann die EU nur
          dann tätig werden, wenn ihr eine Kompetenz durch die MS
          übertragen wurde.
            Ferner dürfen nur die laut dem EUV/AEUV zuständigen
          Organe  (Organkompetenz) Materien,  für die  die  EU  eine
          Kompetenz (Sachkompetenz) hat, einer Regelung unterwer-
          fen, und das auch nur mit der Art Sekundärrechtsquelle, die
          im Vertrag dafür vorgesehen ist. Wenn laut AEUV eine be-
          stimmte Materie mit einer Richtlinie geregelt werden muss,
          dann darf in diesem Sachbereich auch nur eine Richtlinie
          erlassen werden, siehe z. B. Art. 115 AEUV (zur Richtlinie
          ▶ Abschn. 5.1.2). Art. 296 I AEUV schreibt vor, dass im Fall
          der Nichtvorgabe des zu erlassenden Rechtsakts von den Ver-
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