Page 89 - Europarecht Schnell erfasst Auflage 5 (+13.01.2017)
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          4.2  •  Zuständigkeiten der Union



            Art. 4 III EUV – Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit
            Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und
            unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegensei-
            tig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen
            ergeben.
            Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allge-
            meiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen,
            die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der
            Gemeinschaft ergeben.
            Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer
            Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirkli-
            chung der Ziele der Union gefährden könnten.


          Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ist einer der Eck-  Eckpfeiler des EU-Rechts
          pfeiler des EU-Rechts und von überragender Bedeutung für
          das Funktionieren der EU. Danach sind sowohl die MS als auch
          die EU verpflichtet, EUV und AEUV zu ihrer vollsten Wirk-
          samkeit zu erfüllen. Falls dies nicht möglich ist, ergibt sich eine
          rechtliche Beistandspflicht für die jeweils anderen Partner, dies
          zu ermöglichen.
            Der „Vorrang“ betrifft das Verhältnis des nationalen Rechts   Vorrang des EU-Rechts
          zum EU-Recht und ist Bestandteil der Loyalitätspflicht. In den   Verhältnis nationales Recht –
          Mitgliedstaaten der Union gilt nicht nur jeweils das nationale   EU-Recht
          Recht, sondern außerdem sowohl das primäre Vertragsrecht,
          als auch das von der EU gesetzte sekundäre Unionsrecht.
            Soweit diese getrennten Rechtsordnungen sich nicht über-  Ein Klassiker des EU-Rechts:
          schneiden, entsteht kein Problem. Jede Rechtsordnung regelt   Costa/E.N.E.L.
          Lebenssachverhalte in ihrem Anwendungsbereich. Problema-
          tisch wird die Rechtsanwendung erst dann, wenn es Über-
          schneidungen beim Anwendungsbereich gibt, wenn also das
          nationale Recht einen Sachverhalt anders regelt als das Uni-
          onsrecht. In diesem Fall entsteht eine Kollision, die einer Lö-
          sung zugeführt werden muss. Sich widersprechende Normen
          können nicht gleichzeitig anwendbar sein. Um Widersprüche
          aufzulösen, muss mithin bestimmt werden, welches Recht in
          einem solchen Fall vorgeht. Dazu ein Beispielsfall, der zu den
          Klassikern des Unionsrechts gehört, Costa/E.N.E.L., Slg. 1964,
          1251:

          Der Mailänder Rechtsanwalt Costa ist Aktionär einer Stromerzeu-
          gungsgesellschaft. Der italienische Staat verstaatlicht das Unterneh-
          men mit einem Gesetz und gründet eine staatliche Stromgesellschaft
          (E.N.E.L.). Etwas später findet Costa in seiner Post eine Stromrech-
          nung der E.N.E.L. Er ist immer noch nicht mit der Verstaatlichung
          einverstanden und unterlässt einfach die Bezahlung. Es kommt zum
          Prozess um die Zahlungspflicht. Costa macht dabei geltend, die Ver-
          staatlichung sei gemeinschaftsrechtswidrig gewesen. Das zustän-
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